veterinär spiegel 2010; 20(04): 169
DOI: 10.1055/s-0030-1250536
Nutztiere & Pferde
Enke Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Last(s) Words

Wito-Jürgen Last
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Publication Date:
15 December 2010 (online)

Wertigkeit des tierärztlichen Berufsstands

Heute hat die Nutztierhaltung zum Teil Dimensionen erreicht, die sich von der klassischen Landwirtschaft mehr als deutlich absetzen. Intensivhaltungen im Nutztierbereich bedürfen intensiver tierärztlicher Betreuung, so sollte man erwarten, um die hohen Qualitätsansprüche zu sichern und um dem Preisverfall des Produkts Lebensmittel tierischer Herkunft entgegenzuwirken. – Doch gegen alle intensiven Bemühungen sind nunmehr „Lebensmittelplagiate“ wie Analogkäse, Gel-Schinken und Formfleisch in Supermärkten zu finden. Verbraucherschützer warnen den ahnungslosen Verbraucher, der leicht mit Niedrigpreisen zu ködern ist. Produktmanager haben dies schnell erkannt. Die Notwendigkeit der Herstellung von „Placebo-Lebensmitteln“ ist mehr als fraglich. Genügt die Wertigkeit des tierärztlichen Berufsstands, um auf der politischen Bühne mit dem erforderlichen positiven Einfluss zu bestehen?

Das Produkt Lebensmittel tierischer Herkunft sollte eigentlich patentiert werden, um irrigen Exzessen in der Lebensmittelproduktion entgegenzuwirken. Die ersten Schritte wurden schon vollzogen. Beispiel: ein Schafhalter hat sein Produkt Lebensmittel in Verbindung mit der Region namentlich patentieren lassen. Dies beweist den enormen wirtschaftlichen Druck, dem Tierhalter gegenüber ihren Berufskollegen und den politischen Handelsabkommen ausgesetzt sind. Dieser Druck schlägt sich in einem Spannungsfeld zwischen Tierhalter und Tierarzt nieder. Beispiel: Novellierungen Arzneimittelrecht. Der praktizierende Tierarzt wird von einem Teil seiner Klientel als Mittel zum Zweck des legalen Arzneimittelbezugs gesehen und gebraucht. Es gilt, diesem Konflikt zu widerstehen und nach den Regeln einer guten veterinärmedizinischen Praxis zu arbeiten, um der positiven Wertigkeit des Berufsstands gerecht zu werden. Mit der Anforderung eines Patientenbesitzers nach der Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels, ohne vorab abgesicherte Diagnose durch einen Tierarzt, wird die Ausbildung des Veterinärs infrage gestellt. Diese Impertinenz muss man sich nicht gefallen lassen.

Der Tierarzt steht als Verbraucherschützer in tierischen Erzeugerbetrieben in der 1. Reihe und trägt eine große Verantwortung im Bereich Lebensmittelsicherheit. Diese Tätigkeit misst den Tierärzten Bedeutung und Aufwertung zu, was die Mehrzahl der Verbraucher nicht wissen und auch nicht zwingend wissen müssen. Diese positive Wertigkeit des tierärztlichen Berufsstands darf niemals infrage gestellt werden – insbesondere wegen unserer Vorbildfunktion der nachfolgenden Generation gegenüber. Die Wertigkeit des tierärztlichen Berufsstands hat Einfluss auf die Berufswahl der Jugendlichen, auf die Kollegialität der Berufskolleginnen und Kollegen, auf die Medien und auf den mündigen Verbraucher. Die konsequente Anwendung der GOT und das kollegiale Miteinander fördern diese Wertigkeit.

Das Tierschutzgesetz schützt das Tier vor schmerzhaften Eingriffen und den Tierarzt vor verantwortungslosen Laientätigkeiten. Schmerzausschaltung bei operativen Eingriffen ist obligatorisch. Dieses Faktum muss verhindern, dass andere Berufsgruppen versuchen, z. T. mit Crash-Kursen, tierärztliche Tätigkeiten zu verdrängen. Die Harmonisierung der Anforderungen an Gebiets- und Zusatzbezeichnungen weisen auf eine einheitlich standardisierte Qualität unserer Berufskolleginnen und -kollegen hin.

Der viel beklagte Nachwuchsmangel in der Nutztierpraxis hat viele Gesichter. Das eine mit dem mühevollen Suchen nach Assistenten und Urlaubsvertretungen kennen wir schon seit geraumer Zeit. Die verpflichtende Dokumentation, die sich allerdings auch in anderen Bereichen wiederfindet, und die durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft bedingten längeren Anfahrtszeiten, die nicht immer anrechenbar sind, vorwiegend in der Schweinepraxis, sowie die Verfügbarkeit der Arzneimittel für Lebensmittel liefernde Tiere verunglimpfen ein Arbeiten in der Nutztierpraxis. Ein Zusammenhang besteht offensichtlich zwischen der Wertigkeit des tierärztlichen Berufsstands und der Berufswahl der Hochschulaspiranten für oder gegen das Studium der Tiermedizin, der Absolventen für oder gegen das Arbeiten in der Nutztierpraxis, der Nachwuchskolleginnen und ‒kollegen für oder gegen die Tätigkeit im öffentlichen Veterinärwesen.

Fazit

Die momentane Situation spricht für den praktizierenden Tierarzt, d. h. die Chancen für einen Einstieg in die Nutztierpraxis sind für Nachwuchskolleginnen und ‒kollegen offensichtlich sehr aussichtsreich. Bleibt noch die Hoffnung der Erkenntnis, dass in deren Blickfeld die positive Wertigkeit des tierärztlichen Berufsstands vor allem in der kurativen Praxis richtig verstanden wird.

Ich wünsche Ihnen, Ihren Familien, engen Vertrauten und Mitarbeitern besinnliche Feiertage und für das kommende Jahr Gesundheit, Zufriedenheit und Wohlergehen.

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