Kernaussagen
-
Die akute Blutung, ob Traumafolge oder nicht traumatischer Genese, stellt ein vital
bedrohliches Krankheitsbild dar, welches ein multidisziplinäres und zeiteffizientes
Management durch den behandelnden Notarzt erfordert.
-
Die wirksamste Therapie des blutenden Patienten bleibt, falls die Blutungsquelle zugänglich
ist, die Beendigung der Blutung. Diagnose und Therapie eines hämorrhagischen Schocksyndroms
müssen simultan eingeleitet werden. Da die Blutungsquelle sich aber meist einer kausalen
Therapie durch den Notarzt entzieht, besteht neben der Basisversorgung eine dringliche
Transportpriorität.
-
Die Ersteinschätzung und die anschließende Basisversorgung des Patienten sollte gemäß
dem in der Traumatologie bewährten Konzept des ATLS/PHTLS erfolgen, unabhängig davon,
ob eine Traumafolge oder eine traumaunabhängige Blutung vorliegt.
-
Die Entwicklung eines hämorrhagischen Schocks stellt ein dynamisches Ereignis dar,
das die stetige Reevaluation und eine entsprechende situationsgerechte Therapieanpassung
zwingend erfordert.
-
Atemwegsmanagement: Die Intubationsindikation ist nur bei Vorliegen einer respiratorischen
Insuffizienz zu stellen, Hyperventilation und PEEP‐ Beatmung sind zu vermeiden
-
Zugangsmanagement: Zwei großvolumige periphere Zugänge stellen die Mindestversorgung
dar. Dabei bleibt das periphere Venensystem erste Wahl. Die Anlage eines ZVKs oder
intraossäre Zugänge sind Ausnahmesituationen vorbehalten.
-
Volumenmanagement: Eine endgültige evidenzbasierte Empfehlung zur Volumentherapie
liegt zurzeit nicht vor. Die primäre Stabilisierung sollte gemäß ATLS bis zu einem
antizipiertem Blutverlust von 2 Litern durch isotone Kristalloide vorgenommen werden,
bei größeren (anzunehmenden) Blutverlusten sollte die Volumentherapie darüber hinaus
durch kolloidale Infusionslösungen ergänzt werden. Bei Verdacht auf eine intraabdominelle
Blutung infolge eines stumpfen Bauchtraumas, eine relevante intrathorakale Blutung
oder eine instabile Beckenfraktur ist eine aggressive Volumentherapie kritisch zu
hinterfragen. Im Falle einer unkontrollierbaren Blutung ist eine Beendigung letztendlich
nur durch eine chirurgische Intervention möglich. In diesen Fällen konnte eine Verringerung
der Letalität bei Anwendung der Volumentherapie gemäß dem Prinzip der permissiven
Hypotension nachgewiesen werden. Dieses begrenzt den Zieldruck auf 80 mmHg. Als ergänzende
Maßnahme kann bei schwerster Blutung durch sogenannte „small volume resuscitation“
ein weiterer Volumeneffekt erzielt werden.
Abdominaltraumata, Beckenverletzungen, Thoraxtraumata
-
Ein erheblicher Verlust von Blutungsvolumina kann sich dem Auge des Primärbehandlers
entziehen.
-
Bei bestehender Blutung sollte die permissive Hypotension zur Anwendung kommen, da
dadurch eine Mortalitätssenkung erzielt werden konnte. Es besteht Transportpriorität.
Bei Nachweis oder Verdacht auf ein instabiles Becken ist eine äußere Kompression anzuwenden.
Extremitätenverletzungen
-
Extremitätenblutungen sind in der Regel für den Notarzt gut erkennbar.
-
Eine Kontrolle der Blutung ist meist durch Kompression zu erzielen. In seltenen Fällen
kann eine Tourniquetbehandlung notwendig werden.
Blutungen im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich
-
Die Verlegung der Atemwege ist die häufigste Todesursache. Dementsprechend sind Atemwegssicherung
und Aspirationsschutz prioritär.
-
Blutungen im HNO‐Bereich dürfen nicht unterschätzt werden, da auch hier ein relevanter
Blutverlust droht.
Gastrointestinale Blutungen
-
In der Regel entstehen vital bedrohliche Blutungen eher durch Blutungen im oberen
Gastrointestinaltrakt. Blutungen im unteren Gastrointestinaltrakt imponieren klinisch
eher durch einen schleichenden chronischen Blutverlust.
-
Bei unstillbaren Blutungen kann die Applikation von Ballontamponaden notwendig werden.
Dabei kommen die Sengstaken-Blakemore-Sonde und die Linton-Nachlass-Sonde (Fundusvarizen)
zum Einsatz.
Gynäkologische Blutungen
-
Gynäkologische und geburtshilfliche Notfälle sind in der notärztlichen Versorgung
sehr selten.
-
Gefürchtet sind allerdings atone postpartale Blutungen und die Placenta praevia. In
diesen Fällen muss neben einer Volumentherapie die Einleitung einer Tokolyse oder
eine Therapie mit Oxytozin bereits präklinisch erfolgen.
Urologische Blutungen
-
Auch akute relevante urologische Blutungen sind präklinisch selten.
-
Das Leitsymptom der Makrohämaturie stellt meist keine akut lebensbedrohliche Notfallsituation
dar.
-
Neben der Basisnotfallversorgung kann eine Spasmolyse notwendig werden.
Literatur
- 1
Roissaint R, Bouillon B, Coats T et al.
Management of bleeding following major trauma: an updated European guideline.
Critical Care.
2010;
14
R52
- 2
Döhnert J, Auerbach B, Wyrwich W et al.
Die präklinische Versorgung des polytraumatisierten Patienten.
Orthopäde.
2005;
34
837-851
- 3
Christ F, Lackner C K.
Präklinische Versorgung des Patienten mit Schock.
Internist.
2004;
45
267-276
- 4 American College of Surgeons (ed) .Shock. Advanced Trauma Life Support® for Doctors
Student Course Manual with DVD. 8th ed. Chicago; 2009
- 5
Grottke O, Rossaint R.
Managment der Gerinnungsstörung bei traumainduzierter Hypovolämie und (un-)kontrollierter
Blutung.
Notfall Rettungsmed.
2009;
12
181-187
- 6
Lichte P, Waydhas C, Kobbe P.
Lebensbedrohliche Blutungen im Rahmen von penetrierenden Verletzungen.
Notfall Rettungsmed.
2009;
12
502-506
- 7
Kwan I, Bunn F, Roberts I.
Timing and volume of fluid administration for patients with bleeding.
Cochrane Database Syst Rev.
2003;
CD002245
- 8
Ruchholtz S, Waydhas C, Ose C.
Prehospital intubation in severe thoracic trauma without respiratory insuffiency:
a matched pair analysis.
J Trauma.
2002;
52
879-886
- 9
Raum M R, Waydhas C.
Präklinische Volumentherapie beim Trauma.
Notfall Rettungsmed.
2009;
12
188-192
- 10
Helm M, Gries A, Fischer S et al.
Invasive Techniken in der Notfallmedizin III. Die intraossäre Punktion – Ein alternativer
Gefäßzugang in pädiatrischen Notfallsituationen.
Anästhesist.
2005;
54
49-56
- 11
Seamon M J, Fisher C A, Gaughan J et al.
Prehospital procedures before emergency department thoracotomy: “scoop and run” saves
lives.
J Trauma.
2007;
63
113-120
- 12
Roberts I, Alderson P, Bunn F et al.
Colloids versus crystalloids for fluid resuscitation in critically ill patients.
Cochrane Database Syst Rev.
2004;
CD000567
- 13
Kreimeier U, Lackner C, Pruckner S et al.
Permissive Hypotension beim schweren Trauma.
Anästhesist.
2002;
51
787-799
- 14
Dutton R P, Mackenzie C F, Scalea T M.
Hypotensive resuscitation during active hemorrhage: impact on inhospital mortality.
J Trauma.
2002;
52
1141-1146
- 15
Piek J, Jantzen J P.
Empfehlungen zur Erstversorgung des Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma bei Mehrfachverletzung.
Notfall Rettungsmed.
2000;
3
32-37
- 16
Kreimeier U, Messmer K.
Small-volume resuscitation: from experimental evidence to clinical routine. Advantages
and disadvantages of hypertonic solutions.
Acta Anaesthesiol Scand.
2002;
46
625-638
- 17
Nothwang J, Fischer M.
Präklinisches Management des Abdominaltraumas.
Notfall Rettungsmed.
2008;
11
211-223
- 18
Kuhne C A, Krueger C, Homann M et al.
Epidemiology and management in emergency room patients with maxillofacial fractures.
Mund Kiefer Gesichtschir.
2007;
11
201-208
- 19
Voelckel W G, Wenzel V.
Managing hemorrhagic shock: fluids on the way out – drugs on the way in?.
Crit Care Med.
2003;
31
2552-2553
- 20
CRASH-2 trial collaborators .
Effects of tranexamic acid on death, vascular occlusive events, and blood transfusion
in trauma patients with significant haemorrhage (CRASH-2): a randomised, placebo-controlled
trial.
Lancet.
2010;
376
23-32. Epub 2010 Jun 15
- 21
Walcher F, Kortüm S, Kirschning T et al.
Optimierung des Traumamanagements durch präklinische Sonographie.
Unfallchirurg.
2002;
105
986-994
- 22
Lackner C K, Lewan U, Deiler S et al.
Präklinische Akutversorgung von Amputationsverletzungen.
Notfall Rettungsmed.
1999;
2
188-192
- 23
Waydhas C, Sauerland S. AG Notfallmedizin der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie
.
Thoraxtrauma und Thoraxdrainage: Diagnostik und Therapie – Ein systematisches Review,
Teil 1: Diagnostik.
Notfall Rettungsmed.
2003;
6
541-548
- 24
Ceallaigh P O, Ekanaykaee K, Beirne C J et al.
Diagnosis and management of common maxillofacial injuries in the emergency department.
Part 2: mandibular fractures.
Emerg Med.
2006;
23
927-928
- 25
Grum A G, Michaelis S A M.
Die lebensbedrohliche gynäkologische und geburtshilfliche Blutung.
Notfall Rettungsmed.
2009;
12
507-512
- 26
Subtil D, Sommé A, Ardiet E et al.
Postpartum hemorrhage: frequency, consequences in terms of health status, and risk
factors before delivery.
J Gynecol Obstet Biol Reprod (Paris).
2004;
33
4S9-4S16
- 27
Zaak D, Hungerhuber E, Müller-Lisse U et al.
Urologische Notfälle.
Notfall Rettungsmed.
2002;
5
530-543
- 28
Ell C, Hagenmüller F, Schmitt W et al.
Multizentrische prospektive Untersuchung zum aktuellen Stand der Therapie der Ulcusblutung
in Deutschland.
Dtsch Med Wochenschr.
1995;
120
3-9
- 29
Gölder S K, Messmann H.
Akute gastrointestinale Blutungen.
Notfall Rettungsmed.
2010;
13
159-172
- 30
Stanley A J, Ashley D, Dalton H R et al.
Outpatient management of patients with low-risk upper-gastrointestinal haemorrhage:
multicentre validation and prospective evaluation.
Lancet.
2009;
373
42-47
- 31
Pehle B, Nastkolb D, Oberbeck R et al.
Wertigkeit der körperlichen und radiologischen Basisdiagnostik des Beckens in der
Schockraumbehandlung.
Unfallchirurg.
2003;
106
642-648
Dr. med. Johannes Strüwer
Klinik für Unfall-, Hand-, und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Gießen
und Marburg, Standort Marburg
Baldingerstraße
35043 Marburg
Phone: 06421/5866216
Email: struewer@med.uni-marburg.de