ergopraxis 2009; 02(10): 13
DOI: 10.1055/s-0030-1253188
wissenschaft

Berufspraxis – Ergotherapeuten fühlen sich als Einzelkämpfer

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Publication Date:
23 April 2010 (online)

 

Ergotherapeuten bemerken einen deutlichen Unterschied zwischen ihren und den Aufgaben der Teamkollegen aus anderen Berufsgruppen. Es fällt ihnen jedoch schwer, ihre therapeutische Arbeit zu beschreiben. Zu diesem Ergebnis kamen die Ergotherapeuten Liv Grethe Kinn und Randi W. Aas von den Universitäten in Bergen, Stavanger und Sandnes, Norwegen.

Die Forscher befragten sechs Ergotherapeutinnen anhand von halbstrukturierten Interviews. Sie wollten von ihnen wissen, wie sie ihre Profession verstehen und anderen gegenüber darstellen. Die Ergebnisse zeigen, dass es den Befragten wichtig war, das Potenzial des Klienten aufzudecken, zum Beispiel indem sie ihn dabei unterstützten, seinen Alltag erfolgreich zu bewältigen. Auch im Beruf wertgeschätzt zu werden hatte einen hohen Stellenwert für die Ergotherapeutinnen. Sie beschrieben ihre zunehmende Bedeutung in multiprofessionellen Entscheidungsprozessen, fühlten sich aber gleichzeitig von anderen Disziplinen unterbewertet und suchten nach anerkannteren Aufgaben, beispielsweise als Assessmentexperten oder Berater. Je mehr Berufserfahrung die Teilnehmerinnen hatten, desto weniger vertraten sie ihre Ansichten im interdisziplinären Team. Dabei bemühten sie sich, bestimmte typische ergotherapeutische Techniken wie das Handwerk nicht zu erwähnen, da sie diese als abwertend empfanden. Außerdem waren sie darauf bedacht, mit Mythen wie dem der „Basteltante” aufzuräumen. Als wichtiges Thema zeigte sich eine isolierende „Wir-und-die-anderen”-Haltung. Diese entstand dadurch, dass Ergotherapeuten Klienten von einem anderen Standpunkt aus betrachten als die anderen Mitglieder aus dem interdisziplinären Team.

Für den weiteren Professionalisierungsprozess empfehlen die Forscher, Theorie und Praxis stärker zu verknüpfen. Damit könnten Ergotherapeuten bereits während ihrer Ausbildung lernen, ihr Wissen besser zu artikulieren und darzustellen.

dawo

Kommentar

Für die meisten Ergotherapeuten ist es sicher nicht neu, einen anderen Blickwinkel einzunehmen als die Teamkollegen aus anderen Berufsgruppen. Kein Wunder! Denn: Kein anderer Mitarbeiter im Gesundheitswesen setzt sich in ähnlichem Maße mit der Betätigung seiner Klienten auseinander. Die Studie scheint dem ganz normalen Alltag einer Ergotherapeutin zu entsprechen. Stets darum zu kämpfen, von einem einsamen Standpunkt aus Gehör zu finden, macht auf Dauer müde. Die Angst, als „Basteltante” abgestempelt zu werden, scheint größer denn je. Halt! Denn was auf den ersten Blick so alltäglich erscheint, bietet Grund zur Beunruhigung. Wenn Ergotherapeuten damit anfangen, sich für den Einsatz von Handwerkstechniken zu schämen, dann sollten sie vielleicht darüber nachdenken, Psychologie oder Medizin zu studieren. Viel wichtiger erscheint es – wie auch die Forscher betonen – eine eigene ergotherapeutische Sprache zu sprechen und trotzdem für andere verständlich zu sein. Nur so können wir die Wichtigkeit und Einmaligkeit dieser handlungsbezogenen Profession in den klinischen Alltag tragen. Für uns selber, aber ebenso für unsere Klienten.

Daniela Wolter, Ergotherapeutin BSc, arbeitet in der Psychiatrie

AOTJ 2009; 56: 112–121

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