ergopraxis 2009; 2(3): 12
DOI: 10.1055/s-0030-1254401
wissenschaft

Psychische Erkrankungen – Fundierte Programme gegen Stigmatisierung erforderlich

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Publication Date:
21 May 2010 (online)

 

Programme, welche die Stigmatisierung psychisch erkrankter Menschen reduzieren sollen, müssen evidenzbasiert sein. Zu diesem Ergebnis kamen die Universitätsprofessorin Dr. Anita Holzinger und ihre Kollegen der Klinik für Psychiatrie in Wien.

Die Forscher erstellten eine Übersicht über Studien, die Programme zum Abbau dieser Stigmatisierung evaluiert hatten. Dazu führten sie Ende 2008 eine Literaturrecherche in der Datenbank PubMed durch und fanden 51 Arbeiten. Die meisten Studien stammten aus den USA und bewerteten vor allem Programme, die in Schulen durchgeführt wurden. Sie beschrieben zwei Vorgehensweisen. Die theoretische Aufklärung über psychiatrische Erkrankungen kam dabei als Intervention ebenso häufig vor wie kombinierte Programme mit einem zusätzlichen Kontakt der Teilnehmer mit psychisch erkrankten Menschen. Im direkten Vergleich waren Letztere erfolgreicher. Die Programme veränderten insgesamt eher die Einstellung der Teilnehmer als ihr Verhalten gegenüber psychisch erkrankten Menschen. Eine einmalige Intervention reicht hierfür laut Forschern nicht aus.

Methodische Mängel, wie fehlende Angaben über die Auswahl der Teilnehmer, machen es schwierig, die Ergebnisse zu vergleichen. Außerdem waren die Interventionen und die Art der Evaluation sehr unterschiedlich. Annähernd alle Arbeiten stammten aus dem Ausland, was eine Übertragung auf Deutschland erschwert. Die Wirksamkeit von Anti-Stigma-Programmen können die Forscher somit abschließend nicht beurteilen.

dawo

Kommentar

Toll, dass sich Anita Holzinger und ihre Kollegen diesem sensiblen Thema widmen! Denn: Obwohl laut WHO jeder vierte Westeuropäer einmal in seinem Leben unter einer psychischen Erkrankung leidet und auch die Wartelisten in psychotherapeutischen Praxen immer länger werden, stoßen Betroffene noch immer auf Unverständnis in ihrem Umfeld. Das zieht sie meist noch tiefer in die Spirale seelischen Leids hinab. Darum liegt die Vermutung nahe, dass eine Aufklärung und der Kontakt zu psychisch erkrankten Menschen die Angst vor ihnen nehmen kann. Rein rechnerisch hat sowieso nahezu jeder Deutsche Kontakt zu mindestens einer betroffenen Person in seinem Freundes-, Bekannten- oder Familienkreis. Das scheint jedoch nicht davor zu schützen, dass ein Großteil der Bevölkerung verzerrte Vorstellungen von einer psychischen Erkrankung hat. Das Forscherteam tut gut daran, nach evidenzbasierter Forschung zu diesem Thema zu verlangen, denn Programme zur Reduzierung des Stigmas sind wichtig – vor allem, wenn sie wirksam sind!

Daniela Wolter, Ergotherapeutin BSc

Psychiatrische Praxis 2008; 35: 376–386

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