Z Sex Forsch 2010; 23(4): 365-376
DOI: 10.1055/s-0030-1262704
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Scham und Sexualität. Ein verqueres Verhältnis[1]

Margret Hauch1
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Publication Date:
23 December 2010 (online)

Zwischen Sexualität und Scham besteht aus meiner Sicht ein verqueres Verhältnis (vgl. Mollon 2008) und es ist sicher kein Zufall, dass ich erst jetzt das erste Mal zu diesem Thema schreibe – nach 35 Jahren Tätigkeit in Sexualforschung und Sexualtherapie. 

Als ich gebeten wurde, auf der Jahrestagung der IACC (2009) einen Vortrag über Scham zu halten, reagierte ich zunächst irritiert. Mir wurde aber schnell klar, dass die Tatsache, dass ich mich in meinen Publikationen bisher überhaupt nicht mit diesem Thema beschäftigt hatte, eigentlich schon ein interessantes Datum war. Dementsprechend wollte ich mich vor allem mit der Frage befassen, warum Scham in Zusammenhang mit Sexualität in der sexualtherapeutischen Arbeit augenscheinlich eine so geringe Rolle spielt. Meine Arbeitshypothese war, dass die Verknüpfung zwischen dem Sexuellen und der Scham nicht so eng ist, wie allgemein angenommen wird. 

1 Überarbeitete Fassung eines Vortrages im Rahmen der IACC Jahrestagung am 27.11.2009 in Hannover, Vorabdruck aus dem im Frühjahr 2011 erscheinenden Tagungsband „Wenn die Scham sich in Schamlosigkeit verkehrt“, herausgegeben von Bernhild Schrandt und Ingeborg Wegehaupt-Schneider (Gießen: Psychosozial).

Literatur

  • 1 Arentewicz G, Schmidt G. Sexuell gestörte Beziehungen. Konzept und Technik der Paartherapie. 2. neu bearbeitete Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer 1985
  • 2 Bastian T. Der Blick, die Scham, das Gefühl. Eine Anthropologie des Verkannten. Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht 1998
  • 3 Berkel I. Missbrauch als Phantasma. Zur Krise der Genealogie. München: Wilhelm Fink 2006
  • 4 Clement U. „Schamgrenzen in der Sexualität“. Vortrag im Rahmen der 57. Lindauer Psychotherapiewoche 2007
  • 5 Freud S. Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Frankfurt / M.: Fischer 1981
  • 6 Haarmann C. „Unten rum…“ Die Scham ist nicht vorbei. Köln: Innenweltverlag 2005
  • 7 Hauch M. Paartherapie bei sexuellen Störungen. Das Hamburger Modell: Konzept und Technik. Stuttgart: Thieme 2005
  • 8 Hauch M. Paartherapie bei sexuellen Funktionsstörungen und sexueller Lustlosigkeit. Das Hamburger Modell: Konzept, Modifikationen, neuere Ergebnisse. In: Strauß B, Hrsg. Psychotherapie der Sexualstörungen. Stuttgart: Thieme 1998
  • 9 Hauch M, Lange C, Cassel-Bähr S. Paartherapie bei sexuellen Störungen am Beispiel des Hamburger Modells. In: Sigusch V, Hrsg. Sexuelle Störungen und ihre Behandlung. Stuttgart: Thieme 2006; 155–176
  • 10 Hauch M, Matthiesen S. Heterosexualität revisited. In: Berkel I, Hrsg. Postsexualität. Gießen: Psychoszialverlag 2009
  • 11 Heinsen A. Reflexionen über Schamerfahrungen von Therapeuten. Eine Interviewstudie. Universität Hamburg: Diplomarbeit 2010
  • 12 Hilgers M. Scham. Gesichter eines Affektes. Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht 2006
  • 13 Homm D. Evaluation der Behandlung von Vaginismus nach dem Hamburger Modell der Paartherapie. Universität Hamburg: Diplomarbeit 2005
  • 14 Leyrer K. Rabenmutter, na und? Essays und Interviews. Reinbek: Rowohlt 1990
  • 15 Leyrer K. Mama Papa Superkind? Dichtung und Wahrheit über das Leben mit Kindern. Hamburg: Konkret Literatur Verlag 1995
  • 16 Marcuse H. Der eindimensionale Mensch. 14. Auflage. Neuwied: Luchterhand 1979
  • 17 Masters W H, Johnson V E. Impotenz und Anorgasmie. Zur Therapie funktioneller Sexualstörungen. Frankfurt / M.: Goverts Krüger Stahlberg 1973 [Engl. Orig.: 1970]
  • 18 Matthiesen S, Hauch M. Wenn sexuelle Erfahrungen zum Problem werden.  Familiendynamik. 2004;  29 139-160
  • 19 Matthiesen S, Block K, Mix S, Schmidt G. Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch bei minderjährigen Frauen. Schriftenreihe Forschung und Praxis der Sexualaufklärung und Familienplanung. Köln: BZgA 2009
  • 20 Mollon P. The Inherent Shame of Sexuality. In: Pjaczkowska C, Ward I, Hrsg. Shame and Sexuality. Psychoanalysis and Visual Culture. New York: Routledge 2008
  • 21 Pjaczkowska C, Ward I. Shame and Sexuality. Psychoanalysis and Visual Culture. New York: Routledge 2008
  • 22 Pusch L. Das Deutsche als Männersprache. Frankfurt / M.: Edition Suhrkamp 1984
  • 23 Schorsch E. Die Stellung der Sexualität in der psychischen Organisation des Menschen. In: Schorsch E. Perversion, Liebe, Gewalt. Stuttgart: Enke 1993
  • 24 Wurmser L. Die Maske der Scham. Die Psychoanalyse von Schamaffekten und Schamkonflikten. Berlin, Heidelberg: Springer 1998

1 Überarbeitete Fassung eines Vortrages im Rahmen der IACC Jahrestagung am 27.11.2009 in Hannover, Vorabdruck aus dem im Frühjahr 2011 erscheinenden Tagungsband „Wenn die Scham sich in Schamlosigkeit verkehrt“, herausgegeben von Bernhild Schrandt und Ingeborg Wegehaupt-Schneider (Gießen: Psychosozial).

2 Ein Vergleich mit anderen Sprachen und Kulturen wäre hier sehr spannend, würde aber den Rahmen dieses Artikels sprengen.

3 Exemplarisch erscheint mir der gleichzeitige Gebrauch beider Formen in dem viel genutzten Onlinelexikon Wikipedia. Da steht unter äußere Geschlechtsorgane: „Die Vulva oder Scham bildet die Gesamtheit der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane. Sie verläuft vom Venushügel bis zum Perineum (Damm ist die deutsche Übersetzung, die hier fehlt, Anm. der Autorin). Die äußeren Schamlippen schließen mit der Schamspalte die kleinen Schamlippen, den Scheidenvorhof sowie die Klitoris samt Klitorisvorhaut ein.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Geschlechtsorgan)

4 Öffentlicher Personennahverkehr

5 Vgl. z. B. Dodsen [Als Online-Dokument: http://dodsonandross.com/genital-art-gallery-artists-statement]

6 Beim Vaginismus (Scheidenkrampf) ist aufgrund einer reflexartigen Verkrampfung der Scheidenringmuskulatur ein Einführen des Penis in der Regel nicht möglich. Bei ausgeprägten Erektionsstörungen oder sehr ausgeprägten Ejakulationsstörungen (Ejakulation schon vor dem Eindringen oder gänzlich ausbleibende Ejakulation) ist Geschlechtsverkehr entweder gar nicht oder nur mit niedriger Frequenz möglich und damit die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung deutlich reduziert.

7 Der bekannte Slogan „oversexed and underfucked“, der sich nicht gut übersetzen lässt, greift das einerseits auf, verweist aber auch auf eine Kehrseite der so genannten „sexuellen Liberalisierung“. Diese wurde ja seit Mitte des letzten Jahrhunderts immer wieder auch kritisch hinterfragt – ich verweise hier nur exemplarisch auf den von Marcuse geprägten Begriff der „repressiven Entsublimierung“ (1967), der den theoretischen Hintergrund für die eben beschriebene „Performancescham“ erhellt.

8 Die TeilnehmenrInnen berichten dann später auch, dass sich diese Erfahrungen auf den eigenen Arbeitsplatz übertragen lassen. Sie werden häufig auch seitens der PatientInnen vermehrt auf sexuelle Themen angesprochen – auch ohne dass sie explizit nachfragen – was sie mit ihrer größeren Offenheit für sexuelle Themen in Verbindung bringen.

Margret Hauch

Praxis für Psychotherapie und Supervision

Wördemannsweg 1

22527 Hamburg

Email: margret.hauch@hamburg.de