Dtsch Med Wochenschr 2010; 135(39): 1907
DOI: 10.1055/s-0030-1263336
Editorial | Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interventionelle Kardiologie – quo vadis?

Interventional cardiology – quo vadis?U. Sechtem1 , E. Erdmann2
  • 1Abteilung für Kardiologie, Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart
  • 2Klinik III für Innere Medizin, Herzzentrum der Universitätskliniken zu Köln
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Publication Date:
21 September 2010 (online)

Schwerpunkte der diesjährigen Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie sind komplexe Koronarinterventionen, Klappeninterventionen und – fokussierend auf die gleichzeitig stattfindende Jahrestagung der Arbeitsgruppe Arrhythmie – die ablative Therapie von Kammertachykardien sowie die interventionelle Therapie der chronischen Herzinsuffizienz. Teilweise großartige technische Innovationen und gute Behandlungsergebnisse haben zu einem immer aggressiveren therapeutischen Vorgehen in der Kardiologie geführt. Wesentliche Aspekte dieses Fortschritts, aber auch der damit verbundenen Komplikationen werden sowohl in den vielen Kongressveranstaltungen als auch in diesem, ganz der Kardiologie gewidmeten Heft mit unterschiedlichen Aspekten diskutiert.

Entsprechend dem hohen Stellenwert der interventionellen Koronartherapie in der Kardiologie, der durch die Serie von Live-Übertragungen aus renommierten Katheterlabors auf der Herbsttagung betont wird, beschäftigen sich auch einige Arbeiten in diesem Heft mit Koronarinterventionen. So wird der Sinn der oft komplexen interventionellen Rekanalisation von Koronarverschlüssen kommentiert, und in einer „Drei-Parteien-Diskussion” wird die optimale Behandlungsstrategie bei chronisch stabiler Angina pectoris besprochen. Diese Diskussion gewinnt besondere Bedeutung in Anbetracht der neuen Leitlinien der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft zur Myokard-Revaskularisation. Diese Leitlinien wurden gemeinsam von Allgemein-Kardiologen, interventionellen Kardiologen und Kardiochirurgen verfasst. Sie stellen die regelmäßige gemeinsame Besprechung von Kardiologen und Kardiochirurgen als wesentlichen Punkt einer guten Patientenversorgung heraus; ein Ziel, das auch der Deutschen Herzstiftung besonders am Herzen liegt.

Die internationale Diskussion beschäftigt sich immer wieder mit der Frage, wie viele Interventionen bei Patienten mit chronisch stabiler Angina wirklich indiziert sind. Deutschland liegt zusammen mit den USA weit an der Spitze, was die Zahl der Interventionen pro 100 000 Einwohner angeht. Die immer aggressivere Therapie bei Patienten mit Angina pectoris und die zunehmende Zahl von Interventionen führen in der Öffentlichkeit gelegentlich zu einer gewissen Verunsicherung. Im vergangen Jahr befasste sich der „Spiegel” mit der Frage, ob die Kardiologen, die den Patienten initial sehen und therapieren, immer die geeigneten, primär am Wohle des Patienten orientierten Ratschläge für die Therapie gäben („Klempnerei am Herzen”, 5.1.2009). In den USA geht die Diskussion sogar noch einen Schritt weiter: Die „Baltimore Sun” berichtet, dass in Maryland die staatlichen Aufsichtsorgane eine breit angelegte Untersuchung bei Kardiologen und Krankenhäusern begonnen haben, um zu prüfen, ob Stents ohne angemessene Indikation implantiert werden („Hospital lawyers fight claims of unnecessary stents”, 29.8.2010). Dabei wird auf Institutionen fokussiert, bei denen die Interventionsraten signifikant höher liegen als im Durchschnitt des Staates Maryland.

Um Interventionen zu vermeiden, ist das Verständnis für die verschiedenen Krankheitsbilder, die mit Angina pectoris einhergehen, ohne dass Koronarstenosen dafür verantwortlich wären, wichtig. In diesem Heft beschäftigen sich zwei Arbeiten mit solchen Syndromen. Die stressinduzierte Kardiomyopathie, die vorwiegend Frauen betrifft, entsteht aus ungeklärter Ursache bei Patienten mit völlig normalen Koronararterien. Sie kann aber auch durchaus bei Patienten mit geringen, nicht interventionsbedürftigen Plaques in den Koronararterien auftreten. Die Fehlinterpretation des Krankheitsbildes kann in einer unnötigen Intervention enden. Gleiches gilt für Patienten mit vaskulärer Dysfunktion, die ebenfalls außerdem eine nichtsignifikante Plaquebildung aufweisen können. Klinisch sind diese Patienten durch eine typische belastungsabhängige Angina charakterisiert oder eine Angina in Ruhe oder beides in Kombination. Ursache der Beschwerden ist die fehlende Weitstellung der Koronarperipherie (Mikrovaskulatur, Widerstandsgefäße) unter Belastung (führt zur Belastungsangina) oder Koronarspasmen (Ursache der Ruheangina). Die mikrovaskuläre Dysfunktion ist häufig und tritt bei Patienten mit ausgeprägter Risikokonstellation auf. Diese Patienten sind zusätzlich oft von einer mehr oder weniger ausgeprägten diffusen koronaren Plaquebildung betroffen. Eine rein auf dem Koronarangiogramm basierende Therapieentscheidung kann leicht zur unnötigen Stentimplantation führen, welche die Symptome nicht durchgreifend bessert. Die oft fehlende symptomatische Besserung nach Stent wird in der COURAGE-Studie sehr deutlich.

Wir hoffen, dass die wissenschaftlichen Beiträge in diesem Heft helfen, die Therapie von Patienten mit Angina pectoris zu optimieren. Voraussetzung Nr. 1 ist und bleibt die sorgfältige klinische Anamnese, begleitet von der kritischen Wertung der nichtinvasiven Diagnostik und der kollegialen Diskussion der verfügbaren Therapieoptionen. Auch wenn der Verdacht geäußert wurde, dass die deutschen Kardiologen zu häufig zum Katheter und Stent greifen, so kann andererseits nicht von der Hand gewiesen werden, dass dies auch Ausdruck einer besonders guten und zeitnahen Therapie sein könnte. Kritische Diskussionen schaden nie.

Prof. Dr. med. Udo Sechtem

Abteilung für Kardiologie
Robert-Bosch-Krankenhaus

Auerbachstr. 110

70376 Stuttgart

Phone: 0711/8101-3456

Fax: 0711/8101-3795

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