Aus historischer Perspektive ist das National Health System (NHS) schon seit langer
Zeit mit dem Problem deutlich begrenzter Ressourcen für die medizinische Versorgung
konfrontiert. Die vorliegende Studie zielt darauf, Ansätze der Priorisierung im englischen
NHS zu identifizieren und zu beschreiben. Grundlage der Analyse stellen Literaturrecherchen
sowie Ergebnisse aus Experteninterviews dar. Der Begriff Priorisierung wird in England
in der Regel für handlungsnahe Entscheidungen verwendet. Zum einen findet sich der
Begriff als Synonym für Rationierung. Es werden damit aber auch auf verschiedenen
Entscheidungsebenen im NHS unterschiedliche Formen oder Prozesse der Prioritätenbildung
im Sinne der gedanklichen Bildung von Rangordnungen gekennzeichnet. Auf nationaler
Ebene erstellt das Department of Health eine Prioritätenliste, auf deren Grundlage
die Primary Care Trusts (PCTs) in Absprache mit den Strategic Health Authorities (SHA)
eigene Prioritäten auswählen können. Das National Institute for Health and Clinical
Excellence (NICE) kann durch die Erstellung von Expertisen (guidances, technology
appraisals) bestimmte Maßnahmen priorisieren. Die einzelnen PCTs stehen als „Einkäufer“
von Versorgungsleistungen vor der Notwendigkeit zu priorisieren. Dazu hat das Nationale
Netzwerk der PCTs in Zusammenarbeit mit der NHS Confederation Empfehlungen herausgegeben.
In einigen Regionen wurden sogenannte ethical frameworks entwickelt, auf deren Grundlage
priorisiert werden kann und die die Grundlage für Entscheidungen über Ressourcenallokationen
bilden. Die eigentliche Aufgabe der Priorisierung im englischen NHS haben die PCTs,
die dieser Aufgabe mehr oder weniger explizit nachkommen. Allerdings werden die PCTs
durch die Vorgaben des Department of Health und des NICE stark beeinflusst. Faktisch
zieht sich die nationale Ebene darauf zurück vorzugeben, was prioritär ist (inkomplette
Priorisierung) und legt keine Rechenschaft darüber ab, was als nachrangig bzw. überflüssig
zu betrachten ist (komplette Priorisierung). Einzelne PCTs oder auch Zusammenschlüsse
von PCTs haben Priorisierungskriterien und/oder -verfahren entwickelt, um Entscheidungen
zur Ressourcenallokation auf eine explizite, nachvollziehbare Grundlage zu stellen.