Hintergrund: Im Auftrag der WHO wird ein systematisches Review zu Nebenwirkungen von Kaliumjodid,
welches zum Schutz der Bevölkerung vor Schilddrüsenerkrankungen bei nuklearen Notfällen
eingesetzt wird, durchgeführt. Kaliumjodid blockiert die Schilddrüse, sodass radioaktives
Jod nicht aufgenommen wird. Die Beantwortung einer nach EBM-Kriterien formulierten
Forschungsfrage zu seltenen Nebenwirkungen wirft aber Probleme auf, die am diesem
Beispiel dargestellt werden. Methode: Studien zur Gabe von Kaliumjodid an eine Bevölkerungsgruppe wurden systematisch u.a.
mit den Begriffen „thyroid blocking“ und „iodine“ in Pubmed, EMBASE, Cochrane database
of systematic reviews und einigen online Nebenwirkungsdatenbanken anhand eines Rechercheprotokolls
durchsucht. In Bezug auf Nebenwirkungen von ITB haben 2 Personen ca. 800 Artikel zur
näheren Betrachtung ausgewählt. Da Nebenwirkungen häufig in Einzelfallbeschreibungen
dargestellt werden, wurden diese gesondert in einer Datenbank registriert, aber zunächst
nicht in die Analyse einbezogen. Ergebnisse: Von 26 ausgewählten Artikeln wurden weitere 8 Artikel kriterienbasiert ausgeschlossen.
Unter den übrigen 18 Artikeln sind 9 Reviews, 3 nicht repräsentative Studien mit 8
bis 31 Personen und 6 Studien unterschiedlicher Designs, v.a. Querschnittsstudien.
Somit erreicht dieses Review nur das niedrige Evidenzlevel 4 nach der fünfstufigen
Klassifikation des Oxford Centre for Evidence Based Medicine. 136 Fallbeschreibungen
bezogen sich auf eine Vielzahl von Einzelsymptomen und Folgeerkrankungen, die von
Kopfschmerzen über Iododerma bis zu Hypothyreose reichten. Diskussion: Ein systematisches Review zur evidenzbasierten Beurteilung unerwünschter Wirkungen
einer spezifischen Präventionsmaßnahme kann erhebliche Probleme mit sich bringen,
da v.a. auf Fallbeschreibungen zurückgegriffen werden muss. Im Spannungsfeld zwischen
fehlender systematischer Evidenz und dennoch notwendigen Empfehlungen/Leitlinien von
Präventionsmaßnahmen wie im Fall von Kaliumjodid müssen alternative Möglichkeiten
der Evidenzbasierung diskutiert werden. Die Nutzung pharmakoepidemiologischer Datenbanken
sowie ggf. Simulationsstudien zu vorhandenen Spontanmeldungen über unerwünschte Wirkungen
können möglicherweise die systematische Beurteilung unterstützen, ohne dass hohe Evidenzlevel
erreicht werden.