Einleitung: Die sozialepidemiologische Ungleichheitsforschung fordert zunehmend die Berücksichtigung
der „Lebenslauf-Perspektive“ (Richter/Hurrelmann 2006) und die Einbeziehung der „Entwicklung
im Mutterleib als kritische Periode der Krankheitsentstehung“ (Dragano/Siegrist 2006).
Eine Sonderauswertung der deutschen Perinataldaten soll die Frage beantworten, wie
stark sich das Gesundheits- und Präventionsverhalten Schwangerer unterscheidet und
inwieweit es gleiche gesundheitliche Startchancen zu Beginn des Lebens unterminiert.
Material und Methoden: Diese Studie basiert auf den Kohorten 2005 und 2006 der Deutschen Perinatalerhebung.
Diese stellt eine Vollerhebung aller Krankenhausgeburten eines Kalenderjahres dar.
Ausgewertet wurden epidemiologische Informationen von 674.524 (2005) und 658.145 (2006)
Einlinge aus den insgesamt 917 Geburtskliniken Deutschlands hinsichtlich maternaler
Inanspruchnahme, Vorsorgeverhalten, Risikofaktoren sowie maternalem und kindlichem
Outcome. Ergebnisse: Hinsichtlich des gesundheitsrelevanten Verhaltens Schwangerer existieren hierzulande
gravierende soziale Unterschiede. So zeigten sich etwa hohe Raucherquoten und große
Defizite in der pränatalen Schwangerschaftsvorsorge vor allem bei statusniedrigeren
Schwangeren und Migrantinnen aus der Türkei und anderen Mittelmeeranrainerstaaten.
Darüber hinaus ließen sich entlang weiterer soziodemographischer Merkmale mittels
clusteranalytischer Verfahren insgesamt fünf Schwangerentypen identifizieren, was
neben zwei Risikogruppen auch eine Gruppe Überversorgter dekuvrierte. Abschließend
wurde der Zusammenhang prä- und perinataler Verhaltensaspekte und sozialer Merkmale
mit dem Gesundheitszustand der Schwangeren und der Neugeborenen untersucht. Konfunderadjustiert
zeigten sich für wichtige Outcomes (wie etwa Gestationsdiabetes, geringes Geburtsgewicht,
Frühgeburtrisiko und perinatale Mortalität) signifikant höhere Risiken bei rauchenden
und statusniedrigen Schwangeren. Dagegen standen die teilweise ausgeprägten Verhaltens-
und Compliancedefizite von Migrantinnen nicht mit einem grundsätzlich schlechteren
Schwangerschaftsverlauf in Zusammenhang. Schlussfolgerungen: Die Perinataldaten belegen eine problematische Risikokumulation in bestimmten Schwangerengruppen.
Neben Defiziten in der Inanspruchnahme prä- und perinataler Präventionsangebote scheint
vor allem Tabakkonsum während der Schwangerschaft die bedeutsamste verhaltensbedingte
Einflussgröße auf die Gesundheit des Neugeborenen und damit auch auf sozial ungleich
verteilte Startchancen zu Beginn des Lebens zu sein. Vor dem Hintergrund der deutlichen
Verhaltensunterschiede und der resultierenden Morbiditäts- und Mortalitätsrisiken
verdienen prä- und perinatale Determinanten in der Diskussion um die Ursachen gesundheitlicher
Ungleichheit stärkere Beachtung geschenkt.