Pneumologie 2010; 64 - A8
DOI: 10.1055/s-0030-1267776

Synkanzerogenese beim Lungenkarzinom

T Brüning 1, HC Broding 1
  • 1Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung – Institut der Ruhr-Universität Bochum (IPA)

Synkanzerogenese beschreibt das gleichzeitige oder aufeinanderfolgende Einwirken von zwei oder mehr kanzerogenen Stoffen auf das gleiche Zielorgan, wobei jeder der Stoffe auch allein krebserzeugend ist (Hayes, 2001). Die Reihenfolge der Einwirkung ist nicht entscheidend. Die Untersuchung von Wechselwirkungen einer oder mehrerer kanzerogener Arbeitsstoffe ist daher für die Erklärung kanzerogener Effekte und damit auch für die Prävention und Kompensation von Berufskrankheiten von Bedeutung.

Am Arbeitsplatz liegen sehr häufig Mischexpositionen vor. Die Kombinationswirkungen der beruflichen Exposition gegenüber kanzerogenen Arbeitstoffen sind allerdings wissenschaftlich bislang nur unzureichend geklärt. Ferner ist über das Zusammenwirken beruflicher und außerberuflicher (Lifestyle-) Faktoren, z.B. Rauchen, für viele Gefahrstoffe nur wenig bekannt. Die Risikobewertung im Berufskrankheiten-Recht basierte daher bislang auf monokausaler Betrachtung einzelner Gefahrstoffe. Für Lungenkrebserkrankungen wurde inzwischen die synkanzerogene Wirkung von Asbeststaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK) in der Berufskrankheitenverordnung (BKV) berücksichtigt. In der BKV vom 01.07.2009 wurde die BK Nr.4114: „Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die einer Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens 50% nach der Anlage 2 entspricht“ neu aufgenommen.

Auch wissenschaftlich kommt der Beurteilung synkanzerogener Wirkungen beim Menschen in epidemiologischen Studien eine zentrale Bedeutung zu. Da ältere epidemiologische Studien oft durch kleine Fallzahlen, unzureichende Berücksichtigung von Expositionsdaten sowie Störfaktoren wie Rauchen keine belastbaren Ergebnisse liefern, wurden Lösungsansätze durch Datenpooling aus epidemiologischen Studien, Expositionsbewertungen mittels Job-Expositions-Matrices sowie statistischer Modellierung der zusammengeführten Daten formuliert. Aus diesen Überlegungen zur Untersuchung synkanzerogener Effekte wurde mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) unter Koordination der International Agency for Reseach on Cancer (IARC) vom Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV (IPA) das Projekt „SYNERGY“ initiiert.

Bei SYNERGY handelt es sich um eine gepoolte Analyse von internationalen Fall-Kontroll-Studien zur Untersuchung der beruflichen Synkanzerogenese bei Lungenkrebs. Die epidemiologische Datenbasis besteht aus mehreren großen, gut durchgeführten epidemiologischen Studien. Die Expositionsdatenbank stellt die international verfügbaren Messungen an Arbeitsplätzen für die Modellsubstanzen zusammen. Diese dienen zur Aufstellung einer so genannten Job-Expositions-Matrix (JEM) für die Bewertung der Exposition in Berufen und Branchen. Derzeit enthält die epidemiologische SYNERGY-Datenbank Angaben von mehr als 13 000 Lungenkrebsfällen und über 16 000 Kontrollen zu sozio-demographischen Merkmalen und zur Berufs- und Rauchbiografie. Daten aus neun europäischen Fall-Kontroll-Studien sowie einer kanadischen Studie fließen darin ein. Ziel von SYNERGY ist es, Lungenkrebsrisiken von Asbest, PAK, Quarzfeinstaub, Chrom und Nickel für jeden Gefahrstoff einzeln, für ausgewählte Gefahrstoff-Kombinationen und im Zusammenwirken mit Rauchen als Störfaktor oder Effektverstärker zu identifizieren. Es werden Art und Ausmaß der Interaktionen zwischen Kanzerogenen und zum modifizierenden Effekt von Tabakrauch ermittelt, um Präventionsmaßnahmen zu optimieren und neue Erkenntnisse zur Beurteilung des Zusammenwirkens für die Prävention und auch die mögliche Weiterentwicklung des BK-Rechts abzuleiten. Bis neue Erkenntnisse vorliegen, ist bei Vorliegen einer Krebserkrankung mit bekannter multifaktorieller Exposition durch krebserzeugende Arbeitsstoffe eine BK-Anzeige sinnvoll, die durch eine gute Arbeitsanamnese untermauert sein sollte und durch aussagefähige arbeitsmedizinische Expositionsabschätzungen gestützt wird.

Literatur: Hayes, A.W.: Principles and Methods of Toxicology. 4. Aufl., Philadelphia, 2001