Der Klinikarzt 2010; 39(9): 375
DOI: 10.1055/s-0030-1267839
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Nachdenken über einen neuen Patientensport: Ärztehopping

Matthias Leschke
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Publication Date:
04 October 2010 (online)

Der Blick in die jeweilige Neuauflage unseres Hüters deutscher Sprache, des Dudens, zeigt auch Wörter, die neu entstanden sind. Der Terminus des „Ärztehoppings“ hat es allerdings noch nicht bis in den Duden geschafft. Wikipedia ist da schneller und erklärt pointiert, was man darunter zu verstehen habe: „Ärztehopping“, so steht da zu lesen, „ist ein Schlagwort, das von den Krankenkassen eingeführt worden ist. Sie bezeichnen damit die Inanspruchnahme von mehreren Ärzten der gleichen Fachgruppe ohne Überweisung durch einen Hausarzt, was aus Sicht der Krankenkassen unnötig und unerwünscht ist.“

Das Phänomen, seinem Arzt nicht zu trauen und im Anschluss daran weitere Kollegen aufzusuchen, ohne auf vorangegangene Untersuchungen und ärztliche Meinungen zu verweisen, ist natürlich nicht nur bei Kassenpatienten zu konstatieren, sondern ebenso bei den Privatversicherten. Denn denen fällt es im Prinzip leichter, mehrere Spezialisten – vor allem in Kliniken – auszuprobieren, es sei denn, hohe Selbstbehalte wirken als monetäre Bremse für die Lust, sich mal da, mal dort genauer unter die Lupe nehmen zu lassen.

Grundsätzlich zuvor der Hinweis, dass es jedem Patienten, auch den PKV-Klienten, ausdrücklich zugestanden wird, im Falle einer schweren oder gar lebensbedrohlichen Erkrankung eine Zweitmeinung einzuholen. Das ist legitim und treibt auch keinem Kollegen, der herausfindet, dass sein Patient sich woanders eine weitere Expertise holt, die Zornesröte ins Gesicht. Früher musste man sich bei der Kasse einen Schein fürs Quartal abholen. Wollte man in derselben Zeitspanne einen anderen Kollegen aufsuchen, musste man vom ersten eine Überweisung erbitten oder sich noch einmal einen Schein von der Kasse holen. Eigentlich ein fast narrensicheres System, das eine gute Übersicht versprach. Mit der Chipkarte war dem Ärztehopping Tür und Tor geöffnet, was erst durch den 10-Euro-Obolus wieder erschwert werden sollte. Doch wer ein engagierter Ärztehopper ist und seinem Arzt misstraut, der lässt sich den Wechsel auch 10 Euro kosten. Wer sich das nicht leisten kann, hoppt natürlich nicht und konsultiert womöglich sowieso erst dann einen Arzt, wenn es gar nicht mehr anders geht. Da wirkt sich dann die 10-Euro-Sperre gesundheitsschädigend aus.

Hausärzte werden in der Regel nur dann gewechselt, wenn der Patient wirklich unzufrieden ist oder wenn er durch häufigen Arztwechsel leichter an seine Rezepte für bestimmte verschreibungspflichtige Medikamente – meist Hypnotika oder Beruhigungspillen – kommen will. Doch was sind die Motive jener Patienten, die trotz Eintrittsgebühr den Facharzt wechseln wie das tägliche Hemd? Eine ganze Reihe von Motiven ist denkbar. Einmal das Misstrauen, ob der konsultierte Arzt denn auch wirklich eine zutreffende Diagnose gestellt, die passende Therapie verordnet oder die richtige Empfehlung zur Operation gegeben hat. Oder das generellere Misstrauen den Fachkollegen gegenüber, weil die – so der Eindruck des Patienten – ihn und seine Beschwerden nicht ernst nehmen. Der Kollege, der einem Patienten mit als unerträglich geschilderten Rückenschmerzen eine Minute lang sein CT erklärt und dann Diclofenac verordnet, hat ziemlich schnell das Vertrauen dieses Patienten verloren. Verständlich. Doch schon allein eine Anamnese kostet Zeit, die dem Niedergelassenen nicht bezahlt wird (Es sei denn, es handelt sich um einen Privatpatienten!). Deshalb gibt es auch so wenige Schmerztherapeuten in Deutschland. Will man diese medizinische Disziplin erfolgreich und gleichzeitig verantwortungsvoll für den Patienten betreiben, dann kann die Praxis schnell vor dem finanziellen Aus stehen. Ärztehopping in solchen Fällen (und das kommt gar nicht so selten vor) ist schlicht und einfach das Symptom eines unhaltbaren Zustandes unseres Gesundheitssystems. Womöglich wechseln Patienten auch deshalb ihre Ärzte, weil sie immer wieder hartnäckig (meist durch die Publikumsmedien motiviert) bestimmte Therapien nachfragen und nicht bekommen. Aus schlechtem oder gutem Grund. Entweder hat der Kollege nicht den notwendigen Überblick, um zwischen wirklich Innovativem und Fragwürdigem unterscheiden zu können, oder er ist bestens informiert und will seinem Patienten einfach nur Riskantes oder Unnötiges ersparen. Da mag der verantwortungsvoll denkende Arzt ins Hintertreffen geraten, wenn er seinem Patienten solche Eingriffe aus gutem Grund verweigert. Mithin fordern also einige „fortschrittliche“?Kollegen, weil sie aus Marketingerwägungen heraus den Patienten Therapien zugestehen, die man lieber nicht praktizieren oder zumindest nicht so lauthals in den Medien propagieren sollte, das Ärztehopping geradezu heraus.

Schaut man sich die Zahlen der Krankenkassen an, so scheint das Ärztehopping kein wirkliches Problem darzustellen. Ich sehe im Ärztehopping keinesfalls eine Unart unserer Patienten, sondern eher ein partielles Versagen unseres Gesundheitssystems – und auch des einen oder anderen Kollegen, weil er zu wenig Zeit und Einfühlungsvermögen aufbringt oder Patientenwünschen allzu leichtfertig nur um des wirtschaftlichen Vorteils willen nachkommt und so Patienten dazu animiert, den Arzt zu wechseln.

Alles in allem:?Ärztehopping ist ein Phänomen unserer Zeit, jedoch kein Problem. Damit es auch keines wird, sollten wir als niedergelassene Ärzte und als Kliniker unseren Patienten stets aufmerksame Gesprächspartner sein. Das ist eine große Herausforderung, doch der müssen wir uns stellen.

Prof. Dr. med. Matthias Leschke

Esslingen

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