Dtsch Med Wochenschr 2010; 135(51/52): 2567-2573
DOI: 10.1055/s-0030-1269427
Weihnachtsheft

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Zucker als Lebens- und Heilmittel im arabischen Mittelalter

Aus dem medizinischen Werk des Moses MaimonidesSugar: food and elixir in the Arabian Middle AgesW. Kaltenstadler
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Publication Date:
14 December 2010 (online)

Zucker – Grundlage unserer materiellen Kultur

Wenn der Laie heute das Wort „Zucker” gebraucht, dann meint er ausschließlich Rohrzucker und den erst relativ spät in Europa eingeführten Rübenzucker. Nur wenige wissen, dass „Zucker” sich vom arabischen „sukkar” ableitet. Dieses arabische Wort geht wiederum auf das Sanskrit-Wort sharkara, also auf indische Wurzeln, zurück und bedeutet nichts anderes als „süß”. Für den Lebensmittelchemiker und Mediziner ist der Begriff „Zucker” viel weiter zu fassen als für den Laien. Zucker ist zum einen ein Sammelbegriff für alle süß schmeckenden Sakharide (Einfach- und Doppelzucker), zum anderen aber auch die Handelsbezeichnung für den Doppelzucker.

Chemisch betrachtet besteht Zucker aus essbaren kristallinen Substanzen, welche Sucrose, Laktose und Fruktose einschließen. Alle drei werden in der heutigen Medizin auch mit dem bereits Maimonides geläufigen Phänomen der „Lebensmittel-Unverträglichkeit” in Verbindung gebracht. Auch wenn die große Masse des Zuckers heute weltweit aus Zuckerrohr und Zuckerrüben gewonnen wird, muss aus biologisch-chemisch-medizinischer Sicht festgehalten werden, dass Zucker als fundamentaler Kohlehydratbaustein als Fruchtzucker auch in Früchten, Sirup, vor allem Ahornsirup, bestimmten Getreidearten, so vorwiegend in Hirse, in Honig und in vielen anderen Substanzen enthalten ist.

Wie die arabischen Mediziner des Mittelalters sehen auch die Medizin und Naturheilkunde von heute im Zucker (Abb. [1] ) nicht nur ein Genuss-, sondern auch ein Heilmittel [20], z. B. bei der Wundbehandlung und bei der Unterdrückung von Infektionen. Doch auch hier kommt es auf den Typ der Krankheit bzw. Verletzung und die richtige Dosierung an. Übermäßiger und unzeitgemäßer Zuckerkonsum führt aber auf der anderen Seite nicht selten zu Krankheiten wie Antriebs- und Energielosigkeit, Magen- und Darmproblemen, Durchfall und Verstopfung, Hautkrankheiten, Übergewicht, Menstruationsbeschwerden und sogar zu Depressionen und zur Schwächung des Immunsystems [21]. Die arabischen Mediziner des Mittelalters, zu denen im weiteren Sinne auch der jüdische Arzt Moses Maimonides zu rechnen ist, wiesen immer wieder darauf hin, dass Zucker für den menschlichen Körper unentbehrlich ist. Sie wussten aber auch, dass ein übermäßiger Genuss von Zucker, egal, ob in Form von Naturzucker und Honig oder in Form des künstlich gewonnenen Rohrzuckers, der Gesundheit abträglich ist. Die Ablehnung einer übermäßigen Aufnahme von Sacchariden und Saccharose steht zudem nicht im Widerspruch zu dem in der modernen Medizin geltenden Prinzip der ausgewogenen Ernährung.

Abb. 1 Zucker wurde schon in der arabischen Medizin des Mittelalters nicht nur als Genuss-, sondern auch als Heilmittel angesehen.

Noch immer ist bei Laien die Meinung verbreitet, dass jeder den Naturzucker im Übermaß konsumieren dürfe, der künstlich gewonnene Rohr- und Rübenzucker, vor allem in raffinierter Form, aber mit Vorsicht zu genießen sei. Mit diesem Vorurteil hat bereits Maimonides aufgeräumt und erkannt, dass – neben weiteren Lebensmitteln – beispielsweise frische Datteln, welche sehr viel Naturzucker enthalten, für Asthmatiker nicht geeignet sind. In seinem Asthmawerk bezeichnet er frische Datteln für Asthmatiker als „besonders schlecht” [1]. Frische Früchte seien für Asthmatiker überhaupt gefährlich [8] .

Dass Fettleibigkeit, vielfach verbunden mit starkem Bewegungsmangel, nicht selten die Folge von falscher und allzu süßer Ernährung ist, betont der große Arzt des Mittelalters an verschiedenen Stellen. Auch den Diabetes scheint er bereits gekannt zu haben, da er immer wieder bei verschiedenen Krankheiten vor einer allzu zuckerreichen Ernährung warnt.

Literatur

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  • 6 Kulischer J. Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, 2. Bd. München-Wien; 1971
  • 7 Maimonides’ Commentary on the Aphorisms of Hippocrates, Maimonides’ Medical Writings, translated and annotated by Fred Rosner, published by The Maimonides Research Institute, Vol. 2. Haifa; 1987
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  • 11 Maimonides’ Three Treatises on Health, Maimonides’ Medical Writings, translated and annotated by Fred Rosner with bibliography by Jacob I. Dienstag, published by The Maimonides Research Institute, Vol. 4. Haifa; 1990
  • 12 Maimonides’ The Art of Cure. Extracts from Galen, Maimonides’ Medical Writings, translated from Arabic manuscripts and annotated by Uriel S. Barzel with a foreword by Fred Rosner and a bibliography by Jacob I. Dienstag, published by The Maimonides Research Institute, Vol. 5. Haifa; 1992
  • 13 Rosner F. Medical Writings, Vol. 4. Haifa; 1990
  • 14 Rosner F. Treatise on Asthma, Vol. 6. Haifa; 1994
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  • 16 Steinborn G. ŽVergessene Welt im Meer – Die Geschichte des pazifisch-australischen Raums, in: Weltgeschichte, Bd. 6 Nationen, Städte, Steppenvölker,. Gütersloh; 1996: 130-136
  • 17 Vogl D, Benzin N. Die Entdeckung der Urmatrix. Die genetische Rekonstruktion menschlicher Organe, Bd. II: Die Ureinheit aller Dinge. Greiz: Mediengruppe König; 2003
  • 18 Werner T G. Die Anfänge der deutschen Zuckerindustrie und die Augsburger Zuckerindustrie von 1573, in: Scripta Mercaturae. 1/1974: 77-130
  • 19 http://de.wikipedia.org/wiki/Bonbon (Stand 21.06.2010)
  • 20 http://de.wikipedia.org/wiki/Zucker (Stand 21.06.2010)
  • 21 http://www.zentrum-der-gesundheit.de/zucker.html (Stand 21.06.2010)
  • 22 Dictionnaire arabe-francais (Stand 10.07.2010). 
  • 23 http://www.theatercompanie.eu/zweite (Stand 25.06.2010)

Prof. Dr. med. W. Kaltenstadler

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