Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2011; 8(2): 75-76
DOI: 10.1055/s-0031-1271497
Moderne Senologie im komplexen interdisziplinären Umfeld

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Moderne Senologie aus Sicht der Inneren Medizin

A. Schneeweiss
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Publikationsdatum:
17. Juni 2011 (online)

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Das Mammakarzinom ist mit über 1,2 Millionen Neuerkrankungen pro Jahr die weltweit häufigste Tumorerkrankung der Frau. Trotz steigender Inzidenz sinkt deren Mortalität in vielen west­lichen Industrienationen. Gründe sind neben der Einführung des Mammografiescreenings die Verbesserung der lokalen Tumor­kon­trolle und die effektive systemische Behandlung [1]. 

Adjuvante Hormon- und Chemotherapie haben das rezidivfreie Überleben und das Gesamtüberleben signifikant verbessert [2]. Neue zielgerichtet wirksame Substanzen wie Antikörper und kleine Moleküle sowie Bisphosphonate haben unsere therapeutischen Optionen stark erweitert, aber auch differenzierter und komplexer werden lassen [3] [4] . 

Parallel nimmt unser Verständnis für die molekularen und funktionellen Vorgänge bei der Entwicklung der normalen Brustdrüse und des Mammakarzinoms rasant zu. Das Mammakarzinom ist nicht länger ein einheitliches Krankheitsbild. In retrospektiven Analysen wurden wiederholt molekulare Subtypen mit unterschiedlicher Prognose und Sensitivität beschrieben, die unterschiedliche Behandlungskonzepte erfordern [5] [6] [7] [8] [9] [10] . Derzeit orientiert sich die Auswahl der medikamentösen Therapien beim ­Mammakarzinom neben klinisch-pathologischen Faktoren nur an der Expression des Östrogen (ER)- und / oder Progesteron­rezeptors (PgR) und des humanen epidermalen Wachstumsfaktorrezeptors 2 (HER2) [11] [12] . Die Messung dieser Rezeptoren ­erfolgt in der Regel auch nur am Primärtumor, obwohl häufig metastasierte Erkrankungen behandelt werden und retrospektive Daten eine diskordante Rezeptorexpression zwischen Primärtumor und Metastase in bis zu 44 % der Mammakarzinome zeigen [13] [14] . 

Es ist höchste Zeit, die One-size-fits-all-Strategie zu verlassen. Dies kann aber nur im interdisziplinären Dialog zwischen Grundlagenforschern, Diagnostikern und Therapeuten gelingen. Neue zielgerichtet wirksame Substanzen werden nur in bestimmten Subgruppen mit spezifischen Eigenschaften ausreichend wirksam sein, um eine Zulassung zu erhalten. Getriggert durch prä­klinisch generierte Hypothesen müssen diese Subgruppen in ­klinischen Studien frühzeitig anhand von Biomarkern oder funk­tionellen Tests definiert werden. Das neoadjuvante Therapiekonzept bildet den idealen Rahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Es erlaubt sequenzielle Tumorbiopsien mit paralleler Bildgebung und ermöglicht dadurch eine enge Korrelation Therapie-induzierter molekularer und klinischer Veränderungen mit relevanten Endpunkten wie der pathologischen Komplettremission und damit dem Überleben. Wäre Trastuzumab ohne Vorauswahl von Patientinnen mit HER2-Überexpression getestet worden, hätte sich nie ein Überlebensvorteil gezeigt, und eines der erfolgreichsten Medikamente beim Mammakarzinom wäre wohl nie zugelassen worden. Nur durch die Konzentration auf eine definierte Subgruppe mit HER2-Überexpression konnte selbst in den frühen, kleinen Studien beim metastasierten Mammakarzinom eine signifikante und klinisch relevante Überlebensverlängerung von mehreren Monaten erzielt werden [15] [16] . 

Trastuzumab aber war bisher die ruhmreiche Ausnahme. Die vorherrschende Praxis ist die breite Zulassung neuer Substanzen. Dies hat zwar die Heilungs- bzw. Krankheitskontrollraten beim Mammakarzinom verbessert [2] [17] , aber auf Kosten einer erschreckenden Übertherapie und häufiger Fehlbehandlungen [1]. In den kommenden Jahren werden viele weitere Therapieoptionen hinzukommen [3]. Ansätze, die bis heute experimentell sind, wie zelluläre Immuntherapien, könnten eine klinische Bedeutung erlangen. Um dennoch dem Traum der personalisierten Therapie näher zu kommen, d. h. aus der rasch länger werdenden Liste an therapeutischen Möglichkeiten die richtige Therapie für die richtige Patientin zum richtigen Zeitpunkt auszuwählen, ist eine umfassende molekulare Charakterisierung des indivi­duel­len Tumors und Wirtes d. h. der betroffenen Patientin auf geno­mi­scher, epigenomischer, RNA- und Proteinebene erforderlich [18]. Moderne Hochdurchsatzverfahren erlauben uns schon ­heute, die molekulare Vielfalt des Mammakarzinoms und der ­betroffenen Patientin besser abzubilden als je zuvor. Ihre Möglichkeiten sind enorm [19]. Es gilt, sie rasch in das multimodale Behandlungskonzept des Mammakarzinoms zu integrieren. Dies kann nur durch qualitativ hochwertige Studien mit innovativen, translationalen Begleitprogrammen erreicht werden. 

Vor uns liegt ein aufregender, aber auch mühsamer und lang­wieriger Weg mit hohen wissenschaftlichen, strukturellen und finanziellen Hürden. Lassen sie uns diese Hürden im interdis­ziplinären Schulterschluss gemeinsam überwinden. Wir sind es unse­ren Patientinnen und ihren Familien schuldig. 

Literatur

Prof. Dr. med. A. Schneeweiss

Sektion Gynäkologische Onkologie · Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) · Universitäts-Klinikum

Im Neuenheimer Feld

69120 Heidelberg

eMail: andreas.schneeweiss@med.uni-heidelberg.de