Der Klinikarzt 2010; 39(12): 535
DOI: 10.1055/s-0031-1271963
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ganz im Trend: Rent a doctor

Matthias Leschke
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Publication Date:
12 January 2011 (online)

Unsere Wirtschaft ist erfinderisch. Die meisten Unternehmen kennen das Problem: Manchmal ist die Auftragslage dürftig, und plötzlich brummt das Geschäft. Für solche gern gesehenen Boomzeiten jedoch Arbeitskräfte bereit zu halten, mindert den Gewinn, denn in lauen Zeiten säßen manche Leute nur rum und hätten nichts zu tun. Und überflüssige Mitarbeiter einfach entlassen und dann wieder einzustellen, dem schiebt das Gesetz den Riegel vor. Also hat man das System der Leiharbeit erfunden. Und die ist völlig legitim. Arbeitnehmerüberlassung nennt sich diese Kreation: Eine Agentur verleiht Arbeitskräfte. Das kostet die Firmen eine Menge, denn die Agentur verdient kräftig an der Vermittlung. Die Firma ist dennoch fein raus: Braucht man die Leute nicht mehr, so gibt man sie einfach zurück.

Unsere Krankenhäuser müssen nun seit einiger Zeit auch mit dem Problem fertig werden, verwaiste Arztstellen möglichst umgehend zu besetzen, weil dieses Manko sonst komplexe Arbeitsabläufe empfindlich stören würde. Wenn beispielsweise Anästhesisten fehlen, bleibt der OP leer. Und das geht schnell ins Geld. Manche Fachärzte sind inzwischen heiß begehrt und entsprechend rar. Auf Stellenausschreibungen meldet sich kaum noch jemand. Die wenigen Fachärzte, die auf dem Markt sind, haben schnell begriffen, dass sie diese prekäre Situation zu ihren Gunsten nützen können. Sie bieten sich als medizinische Söldner an und sind bereit, von Auftrag zu Auftrag zu reisen, von Klinik zu Klinik. Eine großartige Geschäftsidee! So haben sich natürlich ziemlich rasch Agenturen etabliert, die Krankenhausärzte auf Zeit vermitteln. Honorarärzte nennt sich diese ärztliche Spezies, auch als Leih- oder Leasingarzt etikettiert.

Diese Kollegen arbeiten selbstständig. Ihre Agentur vermittelt sie wie einen Schauspieler an eine Filmproduktion. Das Krankenhaus meldet seinen Bedarf telefonisch oder via mail. Die Agentur blättert in ihrer Kartei und bietet den entsprechenden Wunschkandidaten an. Die Agentur verhandelt Vertretungszeitraum und Honorar und organisiert den Vertrag. Die Klinik bezahlt die Provision und stellt dem Honorarmediziner für die Dauer seiner Tätigkeit Kost und Logis zur Verfügung.

Der Bedarf wächst, denn allein in NRW sind mehr als 1000 Klinikstellen unbesetzt, in der ganzen Bundesrepublik schätzt man den Mangel auf gut 5000 Stellen. Das Angebot an Kollegen, die sich nur zeitweise vermitteln lassen, ist beachtlich. Warum bewerben diese sich nicht auf die offenen Stellen? Nun, Leiharzt zu sein, ist einkömmlich. Pro Stunde gibt es zwischen 80 und 120 Euro. Überstunden werden extra vergütet und Wochenenddienste mit vertraglich vereinbartem Aufschlag ebenso. Das bekommt ein fest angestellter Kollege nicht und wegen der Überstunden wird meist böse gefeilscht. Der Leihdoktor genießt aber noch einen andren Vorteil: Er braucht keine Rücksichten auf die möglichen Launen des Chefs zu nehmen. Er hat keinerlei Karriereambitionen in dem entsprechenden Haus. Der Leihdoktor ist frei. Er arbeitet einmal drei Monate am Stück und nimmt sich nach Lust und Laune dann seine Auszeit. Das ist Freiheit pur.

Dem Marburger Bund ist diese Entwicklung ein Dorn im Auge. Für die gleiche Arbeit erhalten die Festangestellten deutlich weniger, müssen sich mit der Bürokratie herumschlagen und werden durch administrative Strukturen getriezt. Es wird auch Kritik an der fachlichen Kompetenz und Erfahrung der Leihärzte laut, doch diese sind in der Regel keine Anfänger. Auch Oberärzte, die aus dem Korsett der Festangestellten ausgebrochen sind, bieten ihre Dienste an, ebenso pensionierte Chefärzte, die routiniert die Zeit überbrücken helfen, bis ein neuer Chef gefunden ist. Gefragt sind übrigens Narkoseärzte, Chirurgen und Gynäkologen, aber hin und wieder auch Internisten.

Das System des Honorararzt-Modells gehört in Großbritannien und Frankreich längst zum Standard und auch bei uns stünden insbesondere kleinere Kliniken ohne diese Möglichkeit schnell vor Riesenproblemen. So ist der Honorararzt durchaus eine gute Lösung, um ein gewisses Zeitfenster zu überbrücken. Als „Zwischendauerlösung“ jedoch wird dieses System zu einem Problem. Die fest angestellten Kollegen wissen, dass sich der Leasingkollege die Rosinen herauspickt und besser verdient als sie. Und die Festangestellten sind zusätzlich gefordert, dem Kollegen auf Zeit die klinikspezifischen Eigenheiten zu vermitteln und aufzupassen, dass keine Fehler passieren. Die Klinikbudgets belastet das Leihsystem zweifellos, wenn es manchen Managements auch als das kleinere Übel gilt. Lieber mehr bezahlen als dass Operationen verschoben werden oder eine Station geschlossen werden muss.

Ausufernde Bürokratie und wachsender Druck auf ärztliches und pflegendes Personal – dies bleibt eine katastrophale Entwicklung. Das System der Leihärzte ist kein wirkliches Heilmittel dagegen. Da wird nur ein offensichtlicher Mangel notdürftig geflickt. Der Gesundheitspolitik ist bis heute keine vernünftige Strukturreform gelungen. Das Chaos der ständigen Reförmchen gebiert dann ein System wie das des Honorar-Doktors, das eine Krücke bleiben muss und dem Patienten keinesfalls die bestmögliche Behandlung garantiert, die wir ihm schulden. Der Honorararzt wird nie und nimmer eine Beziehung zu den Kollegen und zur Klinik aufzubauen imstande sein. Das interessiert ihn auch nicht. Er hat seinen Job zu erledigen, möglichst professionell, und das ist es dann. Doch im Krankenhaus braucht es außer medizinischem Können vor allem auch eine gute, solide Kommunikation, zwischen ärztlichem und pflegendem Personal und besonders mit den Patienten. Das System der Honorarärzte taugt dafür nicht.

Prof. Dr. med. Matthias Leschke

Esslingen

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