Psychother Psychosom Med Psychol 2011; 61 - A087
DOI: 10.1055/s-0031-1272443

Diagnose Angststörung – wie treffsicher sind Kliniker im Vergleich zur strukturierten Diagnostik?

I Untersinger 1, W Schmied 2, S Terber 1, V Köllner 1
  • 1Fachklinik für Psychosomatische Medizin, MediClin Bliestal Kliniken, Blieskastel
  • 2Klinik für Thorax- und Herz-Gefäßchirurgie, Universitätskliniken des Saarlandes, Homburg

Fragestellung: Angststörungen haben erhebliche sozialmedizinische Auswirkungen. Im klinischen Alltag werden sie aber häufig übersehen (3). Ziel dieser Studie ist es, die Häufigkeit von Angststörungen zwischen klinischer und strukturierter Diagnostik zu vergleichen. Methoden: 240 Patienten (w: 77%; 48,68±8,61 Jahre) einer psychosomatischen Rehabilitationsklinik wurden mit einem strukturierten Interview zur Erfassung psychischer Störungen (CIDI; 4,5) beurteilt. Die Interviewer waren hinsichtlich der klinischen Diagnostik verblindet. Ergebnisse: Klinisch wurden bei 24,6% (n=59) der Patienten 60 Angststörungen diagnostiziert, im CIDI ergaben sich hingegen bei 45,0% (n=108) insgesamt 201 Angststörungen. Die Häufigkeiten für die einzelnen Störungsbilder zeigt Tab. 1. Eine Zweitsicht durch erfahrene Kliniker ergab, dass v.a. die spezifischen Phobien gering ausgeprägt waren und ihre Kenntnis eher geringe Konsequenzen für den Behandlungsverlauf gehabt hätte. Diskussion: Im CIDI werden Angststörungen deutlich häufiger diagnostiziert. Allerdings handelt es sich hier v. a. um spezifische Phobien, die zu eher geringen Beeinträchtigungen führen. Eine echte Unterdiagnostik scheint bei der sozialen Phobie und der GAS (1) zu bestehen. Bei den Klinikern waren unspezifische Diagnosen wie Anpassungsstörung (2) und „Angst und Depression gemischt“ überrepräsentiert. Weitere Studien zur Relevanz der CIDI-Diagnosen für Therapieplanung und sozialmedizinische Beurteilung sind erforderlich.

Tabelle 1: Häufigkeit der Angststörungen nach klinischer und strukturierter Diagnostik (N=240)

Diagnose

ICD-10

Häufigkeit klinisch(N)

Häufigkeit ((BR))im CIDI (N)

Agoraphobie ohne Panikstörung

F 40.00

2

12

Agoraphobie mit Panikstörung

F 40.01

20

30

Soziale Phobie

F 40.1

3

27

Spezifische Phobie

F 40.2

1

62

Panikstörung

F 41.0

10

26

Generalisierte Angststörung

F 41.1

4

32

Angst und depressive Störung gemischt

F 41.2

16

0

Literatur: 1. Hoyer J, Becker ES, Beesdo K, Wittchen HU. Epidemiologie der Generalisierten Angststörung. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie 2003; 32: 267-275. 2. Terber S, Bernardy K, Philippe J, Untersinger I, Köllner V. Clinical diagnosis adjustment disorder: What does a structured interview reveal? Journal of Psychosomatic Research 2010; 68: 669. 3. Wittchen H-U, Jacobi F. Angststörungen. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 21. Berlin, Robert-Koch-Institut, 2004. 4. Wittchen H-U, Lachner G, Wunderlich U, Pfister H. Test-retest reliability of the computerized DSM-IV version of the Munich- Composite International Diagnostic Interview (M-CIDI). Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology 1998, 33: 568-578. 5. World Health Organization. (1990). Composite International Diagnostic Interview (CIDI), Version 1.0. Geneva.