manuelletherapie 2011; 15(3): 137
DOI: 10.1055/s-0031-1273476
Kongressbericht

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

JHV 2011 des DVMT e. V. und Fortbildung mit Peter O’Sullivan

M. Trocha1
  • 1Physiotherapie Marcus Trocha, Zentrum für Manuelle Therapie, Physiotherapie und Bewegungsanalyse
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Publication Date:
25 July 2011 (online)

Am 16.4.2011 fand die Jahreshauptversammlung (JHV) des DVMT e. V. statt. Wie in den Jahren zuvor bettete der DVMT diese auch in diesem Jahr in eine alljährliche Fortbildung mit ganz besonders ausgewählten Referenten ein. Vom 15.–17.04.2011 leitete Peter O’Sullivan (Specialist Musculoskeletal Physiotherapist von der Curtin University in Western Australia; [Abb. 1]) ein hochspannendes Seminar zum Thema Cognitive Functional Therapy for CLBP Disorders within a Bio-psycho-social Classification System. Neben dieser ausgezeichneten Veranstaltung sorgten auch die schon berühmt-berüchtigte tolle Kursatmosphäre sowie die bravouröse Organisation in Bremen (ganz großen Dank dafür an Klaus Hannken-Illjes und das Team des FobiZe Bremen) für ein wunderbares Wochenende.

Abb. 1 Peter O’Sullivan (Foto: Thomas Janser).

O’Sullivan präsentierte ein System zur Klassifizierung von chronischem Rückenschmerz (Chronic low back pain, CLBP), dessen Ausgangspunkt die Unterscheidung von nicht spezifischem (Non-specific, NS) gegenüber spezifischem (Specific, S) CLBP bildet. Sein Vortrag widmete sich vor allem dem Management der Gruppe der NSCLBP-Betroffenen. Er ging sehr deutlich auf die Risikofaktoren für die Entwicklung von CLBP ein. Ein interessanter Hinweis dabei war, dass die Gruppe mit hohem Risiko zur Entwicklung eines chronischen Leidens zwar einen kleineren Anteil in der Gesamtgruppe mit LBP darstellt, aber gleichzeitig mit Abstand mehr Kosten für das Gesundheitssystem verursacht. Physiotherapeuten sollte zum Nachdenken bringen, dass den Betroffenen mit hohem Chronifizierungsrisiko gleichzeitig die wenigsten Therapien verordnet und sie auf einer Warteliste zum Therapiestart am ehesten nach hinten verschoben werden. Laut einer präsentierten Untersuchung handelt es sich dabei um die Gruppe, die Physiotherapeuten am wenigsten gern therapieren.

Ein weiterer wichtiger Punkt in Peters Vortrag betraf die Unterscheidung von angebrachten (Adaptive response) und nicht angebrachten (Maladaptive response) Verhaltens- und oder Bewegungsänderungen. Erstere müssen bzw. dürfen in der Therapie nicht verändert werden, wohingegen Letztere häufig wesentlich zum Beschwerdekomplex beitragen und im Fokus der Interventionen stehen sollten. Ursachen für Maladaptive response sind im biopsychosozialen Kontext zu untersuchen. Nicht selten haben Therapeuten durch unbedachte Äußerungen oder unangebrachte Empfehlungen selbst großen Anteil an der Entwicklung maladaptiven Verhaltens. Entsprechend empfahl Peter bei NSCLBP einen stark kognitiven Ansatz zur Therapie von Bewegungs- und/oder Kontrollfunktionsstörungen. Diesen demonstrierte er bei 2 während des Kurses von ihm behandelten Klienten.

Engagierte Diskussionen entstanden beim Thema lumbale Instabilität. O’Sullivan äußerte sich sehr kritisch gegenüber der Effektivität lumbaler Stabilitätsansätze bei NSCLBP. Obwohl er selbst noch vor wenigen Jahren von deren Nutzen überzeugt gewesen sei und sogar Artikel dazu publizierte, sieht er heute aufgrund neuerer Studien in der Instabilität ein untergeordnetes Problem. Dagegen seien vor allem in der Gruppe der NSCLBP gerade das abdominal Hollowing und die Kokontraktion öfter hinderlich als hilfreich.

Insgesamt bot Peter, der Expertise, Moderation und Geselligkeit gleichermaßen vereint, meines Erachtens 2,5 sehr interessante Tage, wobei vielleicht nicht alles neu, aber sicher vieles aufrüttelnd und für manche vielleicht ernüchternd war. Größte Bewunderung verdient seine umfassende und aktuelle Kenntnis der Literatur. Meine Hochachtung gilt auch seiner Bereitschaft, eigenes Denken und Glauben umzuwerfen, wenn die Evidenz dies verlangt. Nach meiner Meinung ist kaum ein Teilnehmer nach den Tagen genauso wie zuvor in die Praxis gegangen.

Marcus Trocha

PT, M. SC, (PT) OMT, Mitglied im Vorstand des DVMT e. V. – online-Bibliothek, Physiotherapie Marcus Trocha, Zentrum für Manuelle Therapie, Physiotherapie und Bewegungsanalyse

Collenbuschstr. 6

01324 Dresden

Email: m.trocha@manuelle-therapie-dresden.de

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