Der Klinikarzt 2011; 40(2): 70-71
DOI: 10.1055/s-0031-1275180
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Update Hepatologie 2011

Klaus-Peter Maier
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Publication Date:
04 March 2011 (online)

Die vorliegende Ausgabe des klinikarzt befasst sich schwerpunktmäßig mit Fortschritten im Bereich der Hepatologie, verfasst von Experten aus den hepatologischen Zentren der Universitätskliniken Aachen und Tübingen. Die großen Themenfelder der konservativen Hepatologie umfassen die Problemkreise der Leberfibrose, des hepatozellulären Karzinoms (HCC), des cholangiozellulären Karzinoms (CCC) und der primär-sklerosierenden Cholangitis (PSC) sowie der chronischen Virushepatitis B. Zusätzlich finden sich die aktuellen Ergebnisse der Transplantationschirurgie aus der Chirurgischen Universitätsklinik Tübingen, also der operativen Hepatologie, in dieser Ausgabe.

Die Publikation von F. Tacke et al. beschäftigt sich mit einem epidemiologisch unverändert wichtigen Problem, nämlich der Therapie der chronischen HBV-Infektion, die nach Schätzungen in Deutschland mehr als 500 000 Personen betrifft.

Dominant in Klinik und Praxis sind heutzutage Patienten mit einem mutierten Virus (Mutation im Praecore-Gen oder im basalen Core-Promotor), welche sich serologisch durch HBeAg-Negativität und Anti-HBe-Positivität mit teilweise sehr hoher HBV-DNA-Konzentration präsentieren.

Wichtig in der Praxis der Diagnostik der chronischen Hepatitis B ist die fehlende Korrelation von Transaminasenhöhe und Lebernekrose-/fibrose-Aktivität und, wiewohl für europäische Kohorten noch nicht bewiesen, die Tatsache, dass auch bei nicht erhöhten Transaminasen (!) eine erhöhte Konzentration der HBV-DNA als Risikofaktor für die Entwicklung einer Zirrhose/HCC angesehen werden muss. Umgesetzt in die Praxis bedeutet dies, dass sich als Verlaufskontrolle unter der Therapie die regelmäßige Bestimmung der viralen Replikation als fester Marker für das Therapieansprechen einen entscheidenden Platz erobert hat.

In den letzten Jahren ist eine Vielzahl von Medikamenten auf den Markt gekommen, die die Virusreplikation supprimieren. Leider ist die Zahl der Patienten gering, welche von der wirksamen, zeitlich limitierten, wenn auch nicht nebenwirkungsfreien Therapie mit Interferon einen Nutzen haben, auch dergestalt, dass dieses Medikament eine Serokonversion von HBsAg zu Anti-HBs und damit die Beendigung der aktiven Viruserkrankung induzieren kann. Die Zielgruppe für eine erfolgreiche Interferontherapie ist gut definiert: Patient mit Genotyp A, hohen Transaminasen, niedriger Viruslast und feingeweblich mit beträchtlicher Nekroseaktivität. Je kürzer die Erkrankung bei diesen Patienten schwelt, umso besser werden sie auf die Behandlung mit pegyliertem Interferon ansprechen. Die Mehrzahl der Patienten weist heutzutage jedoch vergleichsweise niedrige Transaminasen (< 2-fache der Norm) auf, replizieren das Virus in hoher Konzentration und besitzen nur selten den (günstigen) Genotyp A.

Für diese Patientengruppe wurde das therapeutische Armentarium durch Entwicklung oral verfügbarer Nukleotid-/Nukleosid-Analoga in den letzten Jahren wesentlich erweitert. Ratsam ist es, solche Patienten mit den neuesten Vertretern dieser Stoffklasse zu therapieren (Tenofovir bzw. Entecavir) – Medikamente, die neben hoher antiviraler Aktivität auch eine hohe genetische Barriere besitzen und damit für die Langzeittherapie bevorzugt eingesetzt werden sollen.

Trotz dieser unbestreitbaren Fortschritte sind nach wie vor viele Fragen offen, vor allem diejenige der optimalen Therapiedauer der Wildtyp-Infizierten und vor allem der Patienten, die eine Praecore-Mutante aufweisen. Während man im ersteren Falle ca. 1 Jahr nach erfolgreicher HBeAg-Serokonversion einen versuchsweisen Behandlungsstopp (nachfolgende Kontrollen essenziell!) vertreten kann, wird bisher der Patient mit einer HBeAg-Minusvariante „lebenslang“ therapiert.

Neu und nach den ersten Daten Erfolg versprechend ist in dieser Situation die Bestimmung der HBsAg-Konzentration im Serum als Surrogatmarker der cccDNA im Zellkern der Virus-befallenen Hepatozyten. Abzuwarten bleibt, ob an größeren Studien ein fehlender Abfall dieses Markers nach 3 (–6) Monaten tatsächlich einen Therapiestopp vertretbar erscheinen lässt.

Im Zeitalter aggressiver Chemotherapien spielt die sorgfältige Analyse der HBV-Virusserologie vor Beginn der Behandlung eine entscheidende Rolle. Selbst solche Personen, die aufgrund des serologischen Musters eine akute HBV-Infektion mit Hinterlassung natürlicher Immunität (Anti-HBs und Anti-HCV positiv) durchgemacht haben und die serologisch keinerlei replikative Aktivität mehr aufweisen (HBV-DNA negativ), bedürfen einer langfristigen (!) prophylaktischen Therapie mit einem Nukleotid-/Nukleosid-Analogon, um eine (oftmals tödliche!) Hepatitis-Reaktivierung zu vermeiden. Bedeutsam für die Praxis: Zur Verhütung von Späthepatitiden muss die antivirale Therapie mindestens 1 Jahr nach Beendigung der Chemotherapie fortgesetzt werden. Obligatorisch sind regelhafte Kontrollen der Viruslast und der Transaminasen in solchen Fällen.

Die Langfristigkeit einer antiviralen Therapie kann zu Sekundärkomplikationen an extrahepatischen Organen führen. Diese Komplikationen einer Interferontherapie sind bekannt und nicht selten. Glücklicherweise sind, zumindest bisher, unter den hoch wirksamen oralen antiviralen Medikamenten nur vereinzelte Fälle von Niereninsuffizienz bzw. Laktatazidose aufgetreten, was entsprechende Kontrolluntersuchungen erforderlich macht.

Trotz dieser Einschränkungen sind die Fortschritte auf dem Gebiet der antiviralen Therapie der chronischen Hepatitis B unübersehbar und zahlreiche Patienten, sogar solche mit fortgeschrittener Leberzirrhose, profitieren von diesen neuen Behandlungsprinzipien – manche sogar dergestalt, dass der Rückgang selbst einer (fortgeschrittenen) Fibrose objektiviert werden konnte bzw. eine Lebertransplantation entbehrlich wurde.

Eine chronische Schädigung der Leber durch Viren, Toxine oder aufgrund einer immunologischen Reaktion führt bei einer Vielzahl der Patienten zu einer Leberfibrose, wenn auch häufig erst nach Jahren.

Die Publikation von H. Wasmuth et al. befasst sich mit diesem – zumindest initial – nicht einfach zu diagnostizierenden Krankheitsbild, schwierig deswegen, weil die klinische Symptomatik oftmals im Stich lässt und diskrete bis mäßige Erhöhungen der GPT und/oder Gamma-GT selten derart gewertet werden, dass nachfolgend die für eine Fibrose beweisende Diagnostik im Sinne einer Leberhistologie angeschlossen wird.

In diesem Kontext: Thrombozytenzahl und Aktivität der AST finden sich in einem Fibroseparameter (APRI-Score) wieder, welcher (vor allem bei chronischer HCV-Infektion) einen ersten Näherungsparameter dahin gehend abgeben kann, dass eine Leberfibrose vorliegen könnte.

Trotz der Sicherheit einer Leberbiopsie und ihrer hohen Aussagekraft (bei einem genügend großen [> 2 cm] Lebergewebszylinder) in der Hand eines erfahrenen Untersuchers findet die transiente Elastografie als nicht invasives Verfahren zunehmend Bedeutung. Eine Leberzirrhose lässt sich mit dieser Methode in der Regel von einer Fibrose gut abgrenzen. Schwierig jedoch ist unverändert die Differenzierung der einzelnen Fibrosestadien. Offen ist auch, ob die Magnetresonanzelastografie, die wesentlich mehr Lebervolumen im Vergleich zum Fibroscan erfasst, zur besseren, histologiefreien Fibrosediagnose beizutragen imstande ist.

Anders als über Jahrzehnte angenommen, kann auch eine fortgeschrittene Fibrose potenziell als reversibler Zustand angesehen werden – allerdings nur dann, wenn durch eine wie auch immer geartete Therapie (antiviral, immunsuppressiv, etc.) frühzeitig eingegriffen wird. Interessant sind in diesem Zusammenhang Daten zur unspezifischen antifibrotischen Therapie, z. B. mit Antioxidanzien (Alpha-Tocopherol, Thiazolidinen) sowie Inhibitoren des Renin-Angiotensinsystems. Zur endgültigen Bewertung müssen jedoch größere Studien abgewartet werden – nicht einfach in ihrer Durchführung, da eine Leberfibrose oftmals viele Jahre bis zur klinischen Manifestation benötigt und ein möglicher Therapieerfolg ebenfalls einen erheblichen Zeitfaktor beinhaltet.

Der ausführliche Beitrag von H. H. Lutz et al. befasst sich mit dem unverändert diagnostisch und vor allem therapeutisch schwierigen Krankheitsbild der primär-sklerosierenden Cholangitis (PSC), einer ätiologisch unklaren, bisher keiner kausalen medikamentösen Therapie zugänglichen Erkrankung, welche oftmals aufgrund der seltenen Symptome in der Initialphase erst nach Jahren diagnostiziert wird. Gefürchtet ist die Erkrankung durch die häufig letal verlaufende Komplikation eines cholangiolären Karzinoms (CCC), welches sich bisher der Frühdiagnostik weitgehend entzieht.

Unsere Behandlungsmöglichkeiten sind unverändert rein symptomatischer Natur, nicht zuletzt aufgrund der nur mangelhaften Vorstellung über die Pathogenese der Erkrankung. Ursodesoxycholsäure, gerne verordnet, ändert den Verlauf der Erkrankung nicht. Wird das Medikament hoch dosiert eingenommen, resultieren Komplikationen und Todesfälle.

Bewährt hat sich in der Verlaufsevaluation und auch in der Therapie der häufigen bakteriellen Cholangitiden die kurzfristige Stenteinlage zusammen mit einer gezielten antibiotischen Therapie.

Aktuell bleibt als einzige effiziente Therapiemaßnahme die Lebertransplantation. Allerdings ist nach wie vor der optimale Zeitpunkt für diesen Eingriff nicht exakt festzulegen, nicht zuletzt aufgrund der bereits erwähnten Schwierigkeit der CCC-Diagnose im Frühstadium.

Der Beitrag von I. Königsrainer et al. rundet das Spektrum der bisher diskutierten Beiträge insofern ab, als die Lebertransplantation bei vielen Patienten mit terminaler Lebererkrankung die einzige lebensrettende Maßnahme darstellt. So sinnvoll und erfolgreich das Verfahren ist (1-Jahresüberlebensrate bis 90 % werden erreicht), so problematisch sind unverändert die Fragen von Leberspende und Organzuteilung, welche seit 5 Jahren zentral auf dem MELD-Score beruht. Dies bedeutet, dass durch den starken Spendermangel die Transplantation nur bei einem sehr hohen MELD-Score überhaupt erfolgt mit der Resultante, dass dominant schwerstkranke Patienten operiert werden mit der weiteren Folge entsprechend verschlechterter Überlebensraten. Diese Situation hat dazu geführt, dass aufgrund der zunehmenden Zeit auf der Warteliste, insbesondere beim hepatozellulären Karzinom, die Leberlebendspende als Alternativmöglichkeit zur Kadavertransplantation an Stellenwert gewinnt. Auch mit der Splitlebertransplantation versucht man dem eklatanten Organmangel soweit wie möglich zu begegnen.

Trotz dieser Einschränkungen und Probleme hat sich die Lebertransplantation als einzige kurative Maßnahme bei zahlreichen terminalen Lebererkrankungen, einschließlich der Fälle von HCC, einen festen Platz im Therapiekonzept erobert.

Fraglos gehen die guten Ergebnisse auch auf die zunehmend geübte interdisziplinäre Kooperation zwischen Hepatologen und Transplantationschirurgen, wie dies modellhaft in hepatologischen Expertenzentren realisiert wird, zurück: „Die präoperative Konditionierung“ der Patienten, z. B. durch eine „maßgeschneiderte“ antivirale Therapie und ihre Aufnahme in die Warteliste nach ausführlicher Diskussion in einem „interdisziplinären Leberboard“, zusammen mit dem Transplantchirurgen und dem Anästhesisten ist zu einer wesentlichen Aufgabe des Hepatologen geworden. Auf die erfolgreiche Transplantation erfolgen dann Nachsorge und entsprechende Adaptation der immunsuppressiven Therapie, unter Einbeziehung der Hausärzte, im hepatologischen Zentrum in enger Absprache und in Kooperation mit den chirurgischen Kollegen.

Sieht man von der Problematik des Spendermangels ab, so gelingt es auf diese Weise, bemerkenswert hohe Langzeitüberlebensraten zu erzielen und dies vor dem Hintergrund, dass die Lebenserwartung eines Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose, gleich welcher Ätiologie, oft nur noch Monate beträgt.

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Klaus-Peter Maier

Stuttgart

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