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DOI: 10.1055/s-0031-1280031
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Behandlungskonzept von Kindern in Sedierung oder Vollnarkose
Publication History
Publication Date:
31 August 2011 (online)
Einleitung
Die erfolgreiche zahnärztliche Behandlung von Kindern steht und fällt mit einer guten Schmerzkontrolle und Verhaltensführung. Bei der Wahl der Methode ist zu berücksichtigen
wie alt das Kind ist, welche Vorerfahrungen es hat, wie viele kariöse Läsionen vorliegen, ob bereits Schmerzen bestehen, wie der allgemeine Gesundheitszustand ist sowie die Ausstattung und Möglichkeiten in der jeweiligen Praxis.
Kariesprävalenz
Die Karies bei Kindern und Jugendlichen ist in den meisten europäischen Regionen in den letzten Jahren deutlich zurück gegangen. Gleichzeitig konnte man aber eine Polarisierung der Karies feststellen, häufig vergesellschaftet mit einer sozialen Komponente [1]–[3]. Das bedeutet, viele Kinder haben wenig Karies und damit wenig Behandlungsbedarf (Abb. [1]). Dem gegenüber stehen einige wenige Kinder mit viel Karies und einem entsprechend hohen Behandlungsbedarf. Während die meisten Kinder der ersten Gruppe sich mit etwas Geduld und den entsprechenden Techniken zur Verhaltensführung mit Lokalanästhesie behandeln lassen, ist das bei Kindern der zweiten Gruppe oft nicht möglich. Häufig handelt es sich um kleine Kinder mit einem frühen Behandlungsbedarf, zum Beispiel aufgrund einer Early Childhood Caries (ECC) (Abb. [2], [3]).
Abb. 1 Kariesfreies Milchgebiss. Kinder mit einem solchen Ausgangsbefund haben gute Chancen, mithilfe der Prophylaxe langsam an die zahnärztliche Behandlung herangeführt zu werden und sich zu aufgeschlossenen Patienten ohne Angst oder Furcht zu entwickeln. Abb. 2 Kleinkind mit ECC-Typ II. Hier sind Schmerzen nicht auszuschließen und eine Behandlung in Sedierung oder Narkose ist indiziert, um eine Traumatisierung zu vermeiden. Abb. 3 Kariöse Zerstörung aller Zähne im Oberkiefer eines Kindergartenkinds. Auch hier ist die Behandlung in Intubationsnarkose indiziert. Merke: Je mehr Karies die Kinder haben und je jünger sie dabei sind, desto höher der Bedarf für Sedierungen und Narkosen. Unversorgte Milchzahnkaries Außerdem ist festzustellen, dass eine große Anzahl der kariösen Läsionen im Milchgebiss gar nicht behandelt werden, auch wenn es hinsichtlich der angewandten Technik in den letzten Jahren einige Verbesserungen zum Positiven gegeben hat 4. Eine Erhebung der Koordinationsstelle Zahngesundheit des Österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen (ÖBIG) aus dem Jahr 2006 zeigte, dass bei der Gruppe der 6-Jährigen in Wien bereits 50 % der Kinder Karies haben, die zu 70 % nicht versorgt ist 2 (Abb. 4). Abb. 4 a und b Typische Situation einer nicht versorgten Approximalkaries bei einem Vorschulkind. Die Ausdehnung wird klinisch häufig unterschätzt oder sogar übersehen, wenn kein Röntgenbild angefertigt wird. Rolle der Angst Ein Hauptgrund für Beschwerden vonseiten der Eltern ist, dass ein Zahnarzt keine oder nur unzureichende Schmerzkontrolle bei der Behandlung des Kindes vorgenommen hat oder wenig einfühlsam und geduldig war, was in weiterer Folge zu sogenanntem unkooperativen Verhalten oder Zahnarztangst geführt hat. Manchmal wird jedoch auch die Angst von Eltern oder anderen Bezugspersonen bewusst oder unbewusst auf das Kind übertragen. Frühe Schmerz- und Angsterfahrungen bei Kindern können zu einer dauerhaft gesteigerten Schmerzempfindlichkeit führen. Es ist daher sinnvoll, mit den entsprechenden Maßnahmen eine geeignete Schmerz- und Angstprävention zu betreiben 5.Die Wahrnehmung von Schmerzen durch Kinder
Der kindliche Organismus verfügt bereits sehr früh über alle Mechanismen der Schmerzempfindung, aber nur über eine unzureichende körpereigene Schmerzabwehr; der Umgang mit Schmerzen und die Differenzierung zwischen tatsächlichen Schmerzen oder lediglich unangenehmen Empfindungen muss erst gelernt werden. Daher ist die Anxiolyse von zentraler Bedeutung [5], [6]. Angst und/oder Schmerzen können dann zu einem Behandlungsabbruch führen und damit eine unbefriedigende Situation für alle Beteiligten herbeiführen. Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass schmerzhafte Erfahrungen beim Zahnarzt in der Kindheit die bedeutendsten Faktoren sind, die später zu einer Zahnarztangst oder -phobie führen [7]–[10]. Wie Schmerzen wahrgenommen werden und die Reaktion darauf wird von einer Reihe von Faktoren beeinflusst. So prägen etwa Erlebnisse oder Erfahrungen von Eltern, Geschwistern oder Freunden die Schmerzwahrnehmung eines Kindes. Auch das Geschlecht, die Kultur, die Persönlichkeit, das soziale Umfeld und natürlich das Alter haben einen Einfluss. Jungen und Mädchen etwa sind wahrscheinlich gleich sensibel, drücken ihr Empfinden aber anders aus [5], [6], [8], [11] (Abb. [5]).
Abb. 5 Einflussfaktoren auf die Schmerzwahrnehmung eines Kindes. Psyche des Kindes Um festzulegen, welches Kind eine Sedierung oder Narkose braucht oder welches Kind mit reiner Verhaltensführung behandelt werden kann, muss man sich zunächst etwas mit der kindlichen Entwicklung und Psyche auseinandersetzen. Trotz aller äußeren Einflüsse und persönlicher Unterschiede gibt es in der kindlichen Entwicklung einige definierte Phasen der Entwicklung und der Schmerzwahrnehmung. Diese sind in Tab. 1 und 2 zusammengefasst 11. Tabelle 1 Das Verhalten in Abhängigkeit vom Alter. Alter des Kindes Verhalten 0–2 Jahre präkooperativ, sehr kurze Aufmerksamkeit (< 5 min) „Symbiose“ mit der Mutter – die Anwesenheit der Eltern ist unabdingbar. Weinen ist „normale“ Ausdrucksform (Hunger, müde …) 3–6 Jahre „potenziell kooperativ“, Aufmerksamkeit < 10 min lassen sich leicht ablenken, reagieren gut auf phantasiereiche Geschichten und zahnärztliche Hypnose werden selbstständiger, versuchen ihren Willen durchzusetzen brauchen Erklärungen, Anwesenheit der Eltern ist sehr hilfreich 7–11 Jahre fangen an, logischer zu denken wollen vieles alleine machen, können aber noch nicht alles setzen gerne ihren Willen durch Erklärungen werden verlangt und verstanden starkes Ansprechen auf Lob und Belohnung 11–15 Jahre werden immer selbstständiger, haben abstraktes Denken entwickelt können sehr empfindlich auf Kritik reagieren Nach: Chadwick BL, Hosey MT. Kinderbehandlung in der Zahnarztpraxis ohne Heulen und Zähneklappern. Berlin: Quintessenz; 2007: 1–107 12. Tabelle 2 Das Verständnis für Schmerz in Abhängigkeit vom Alter. Alter des Kindes Verhalten 0–2 Jahre Kinder haben noch nicht die Sprachfähigkeit entwickelt, um Schmerzen adäquat auszudrücken, haben aber die Fähigkeit, sich Schmerzsensationen zu merken. Schlechte Erfahrungen in diesem Alter sind prägend für später. 3–6 Jahre Schmerzhafte Erfahrungen werden oft als Strafe missverstanden. Sie können noch nicht zwischen „Druck“ und „Schmerz“ differenzieren. 7–11 Jahre Erklärungen werden verlangt und verstanden, Schmerzen werden aber immer noch oft als Strafe missverstanden. 11–15 Jahre Die Kinder verstehen die verschiedenen Aspekte von Schmerzen. Sie verstehen, dass eine Lokalanästhesie schmerzhaft sein kann, aber dass sie ihnen hinterher hilft. Nach: Gaffney A. Developmental aspects of children's definitions of pain. Pain 1986; 26: 105–117 11. Merke: Eine gute zahnärztliche Behandlung von Kindern ist nur mit entsprechender Schmerz- und Angstkontrolle möglich. Negative Erfahrungen in diesem Alter sind prägend.Literatur
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Dr. Verena Bürkle
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