Klin Monbl Augenheilkd 2011; 228(11): 955-956
DOI: 10.1055/s-0031-1281795
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wie man Kernspintomografie besser versteht, Erblindungsrisiken erkennt, Kontrastsehen beurteilt und einen Glaukommythos korrigiert

How to Better Understand Magnetic Resonance Tomography, Recognise Risks for Blindness, Evaluate Contrast Vision and Correct a Glaucoma MythProf. Dr. H. Wilhelm1
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Publication Date:
09 November 2011 (online)

Stand früher die Funktionsdiagnostik im Mittelpunkt der Neuroophthalmologie, so muss der Neuroophthalmologe heute immer mehr Gesprächspartner und häufig sogar Übersetzer zwischen der Augenheilkunde und den Neurofächern sein. Das heißt, er muss deren Instrumentarium verstehen. Der Artikel von Frau Batra soll dafür gewissermaßen ein Wörterbuch darstellen, in dem wir nachschlagen können, wann immer ein Begriff unklar ist. Die Terminologie der Kernspintomografie ist bekanntlich recht kryptisch, und niemand in unserem Fach weiß so recht, welche Technik wann zum Einsatz kommen muss. Sicherlich kann kein Augenarzt die Arbeit eines Neuroradiologen erledigen. Ob eine Untersuchung der Fragestellung angemessen war, sollte man aber einschätzen können, und man darf es sich durchaus zutrauen, mitzureden. Meine Vorstellung ist, dass dieser Artikel in Kopie auf dem neuroophthalmologischen Schreibtisch bereit liegt und immer dann zum Einsatz kommt, wenn ein MRT zu beurteilen ist.

Ob ein Kind mit offener Fontanelle überhaupt eine Stauungspapille haben kann, mag Kopfzerbrechen bereiten. Der Beitrag von Gusek-Schneider und Kollegen räumt Zweifel aus und liefert sehr interessante Kasuistiken. Die Stauungspapille zu entdecken, ist eminent wichtig, da ein Kind daran erblinden kann.

Zur Erblindung kann auch die Arteriitis temporalis führen. Einen besonders schlimmen Fall berichten Petermeier und Kollegen. Die Autoren zeigen dabei auch, wie wichtig interdisziplinärer Kontakt ist.

Ebenfalls erblindungsgefährdet durch Optikuskompression sind Säuglinge mit infantil-maligner Osteopetrosis, in diesem Heft von Müller-Richter et al. beschrieben, in Kombination mit einem Silver-Russell-Syndrom, wobei es sich sogar um die Erstbeschreibung dieser Kombination handeln dürfte.

Mein eigener Beitrag zusammen mit den Mitarbeitern des Aeromedical Centers am Stuttgarter Flughafen wurde aus der Not geboren, aus einer Not, in die Augenärzte und Arbeitsmediziner nicht unerwartet geraten sind. Was man eigentlich schon Jahre hätte tun sollen, nämlich in der Verkehrsbegutachtung Kontrast- oder Dämmerungssehen zu prüfen, wird jetzt Pflicht. Diese Arbeit soll einen vorläufigen und vorsichtigen Anhalt geben, wo beim Screening die Grenzen gesetzt werden können, damit nicht die Augenarztpraxen von Scharen verzweifelter LKW-Kapitäne invadiert werden. Notwendig ist aber sicher eine größere Studie.

Zu wenig Beachtung wird vielfach dem subjektiven Befinden des Patienten geschenkt, man kann es ja nicht so gut messen wie z. B. Visus und Gesichtsfeld. Dies ist aber ein Trugschluss. Mit dem bekannten NEI-VFQ steht ein Fragebogen zur Verfügung, der durchaus Lebensqualität messen kann. Dieser wurde speziell für die Neuroophthalmologie erweitert.

Diese Art der Betrachtung einer Krankheit wird sicherlich zunehmend bedeutender werden. Was nützt dem Patienten eine messbar bessere Funktion, wenn er dies nicht auch so empfindet? Auf diesem Gebiet haben wir Nachholbedarf, und Wagenbreth et al. gebührt das Verdienst, dass sie diesen Fragebogen zur Lebensqualität anhand von Patienten mit Gesichtsfeldausfällen validiert haben.

Glaukom und relativer afferenter Pupillendefekt ist ein recht aktuelles Thema, das von Skorkovska und Mitarbeitern aufgegriffen wird. Schon einmal dieses Jahr wurde über dieses Thema geschrieben, wenn auch mit gänzlich anderer Schlussfolgerung [1]. Da der Beitrag nicht irgendwo, sondern im renommierten British Journal of Ophthalmlogy erschien, halte ich es für angezeigt, darauf etwas ausführlicher einzugehen.

Ophthalmologische Daten bei über 18 000 Personen zu erheben, ist bewundernswert, dies gelang Kollegen in Indien. Die Untersuchenden waren „Ophthalmic Assistants“ in Südindien. Natürlich erlaubt eine solche Datenmenge eine Reihe von Erkenntnissen und Veröffentlichungen, vorausgesetzt die Daten wurden korrekt erhoben. Die Autoren kommen zum Fazit, dass der Swinging-Flashlight-Test für die Glaukom-Diagnostik nichts tauge. Dies widerspricht nicht nur dem Beitrag von Skorkovska et al. in diesem Heft, sondern jeder klinischen Erfahrung. Das Glaukom ist eine Erkrankung des Sehnervs und häufig asymmetrisch, also muss es häufig einen relativen afferenten Pupillendefekt (RAPD) haben, was einige andere Studien auch [2] [3] [4] [5] fanden. Zwei davon sind in der Arbeit im British Journal sogar zitiert. Wie kommen die Autoren zu ihrer Auffassung, der Swinging-Flashlight-Test sei für das Glaukom unbrauchbar?

Ein Blick in die Details der Arbeit zeigt: Insgesamt elfmal wurde ein RAPD gefunden: 11 von 18 366, das entspricht 0,06 %. Hätte es sich um eine Normalpopulation gehandelt, alle völlig gesund, allein da hätte man einige Fälle mit RAPD finden müssen, schätzungsweise 1 %, also 180 [6]. Hinzu kommen solche, bei denen irgendeine einseitige Netzhaut- oder Sehnervenerkrankung vorgelegen hat. Die Zahl derer kann unter 18 366 nicht null gewesen sein. Insgesamt wurden aber immerhin 77 Glaukome gefunden. Nicht gerade viel, möchte man meinen. Allerdings wurde weder der Fundus angeschaut noch Druck gemessen, auch war keine Spaltlampe im Einsatz. Dass bei diesen 77 keiner mit RAPD war, wundert mich kaum, wahrscheinlich waren die Augenveränderungen (die ja äußerlich sichtbar sein mussten) so ausgeprägt, dass ein regulärer Swinging-Flashlight-Test gar nicht mehr möglich war.

Das eigentlich Schlimme des Beitrags aber ist seine Schlussfolgerung: Sensitivität 0 % für den Swinging-Flashlight-Test beim Glaukom! Man kann darüber nur den Kopf schütteln, dass keiner der 7 Autoren, keiner der beiden Reviewer oder der Herausgeber dieser nicht unbedeutenden Zeitschrift die Reißleine gezogen hat. Die einzige zulässige Schlussfolgerung ist nämlich die, dass der Swinging-Flashlight-Test falsch durchgeführt wurde (was die Autoren in einem Nebensatz sogar einräumen). Ohne besonders böswillig sein zu wollen, könnte man am Nutzen der gesamten Studie zweifeln, wenn selbst diese doch nicht allzu schwierige Untersuchung so komplett daneben ging.

Belassen wir es dabei, möchte man sagen. Was sich aber mit Sicherheit einprägen wird, ist die Aussage: Der Swinging-Flashlight-Test taugt nichts beim Glaukom. Es wird nicht lange dauern, bis in Fortbildungen behauptet wird, beim Glaukom gäbe es keinen RAPD. Gerüchte verbreiten sich in der Wissenschaft genau so schnell wie im Bergdorf. Und sie können viel Schaden anrichten. Wissenschaftliche Zeitschriften haben deshalb eine hohe Verantwortung.

Glaukompatienten haben oft einen RAPD, in mindestens einem Viertel [2] [3] [4] [5]. Der Swinging-Flashlight-Test hat deshalb beim Glaukomscreening durchaus seine Berechtigung. Dass der normale Augeninnendruck ein Glaukom nicht ausschließt, ist Allgemeingut. Dass die Papille nicht immer den typischen Befund liefert, weiß jeder, der genug Erfahrung hat. Kleine Papillen, ungünstig verlaufende große Gefäße können die entscheidende Exkavation verbergen. Deshalb hat der Swinging-Flashlight-Test seine zusätzliche Berechtigung. Sicherlich, als alleiniges Screening ist er nicht sensitiv genug, aber seine Sensitivität ist keineswegs null.

Korrektes Fazit in diesem Heft, das sich einprägen sollte: Mindestens ein Viertel der Glaukompatienten hat einen relativen afferenten Pupillendefekt, deshalb gehört der Swinging-Flashlight-Test zur Glaukomuntersuchung dazu.

Literatur

  • 1 Hennessy A L, Katz J, Ramakrishnan R et al. The utility of relative afferent pupillary defect as a screening tool for glaucoma: prospective examination of a large population-based study in a south Indian population.  Br J Ophthalmol. DOI: 10.1136 /bjo.2010.194217
  • 2 Jonas J B, Zach F M, Naumann G O. Quantitative pupillometry of relative afferent defects in glaucoma.  ArchOphthalmol. 1990;  108 479-480
  • 3 Lankaranian D, Altangerel U, Spaeth G L et al. The usefulness of a new method of testing for a relative afferent pupillary defect in patients with ocular hypertension and glaucoma.  Trans Am OphthalmolSoc. 2005;  103 200-208
  • 4 Skorkovská K, Wilhelm H, Lüdtke H et al. Relativer afferenter Pupillendefekt bei Glaukom.  Klin Monatsbl Augenheilkd. 2011;  228 971-975
  • 5 Kalaboukhova L, Fridhammar V, Lindblom B. Relative afferent pupillary defect in glaucoma: a pupillometric study.  ActaOphthalmol Scan. 2007;  85 519-525
  • 6 Wilhelm H, Peters T, Lüdtke H et al. The prevalence of relative afferent pupillary defects in normal subjects.  J Neuroophthalmol. 2007;  27 263-267

Prof. Dr. Helmut Wilhelm

Augenklinik, Department für Augenheilkunde, Universität Tübingen

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