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DOI: 10.1055/s-0031-1281800
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Tendenziöse Objektivität – Frauenbilder in der deutschen Neurowissenschaft des 19. Jahrhunderts
Biased Objectivity – Images of Women in 19th Century German NeurosciencePublikationsverlauf
Publikationsdatum:
15. Dezember 2011 (online)

Zusammenfassung
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte sich unter deutschen Gelehrten das Bestreben, eine Unterscheidung der Geschlechter anhand anatomischer Besonderheiten des Zerebrums vorzunehmen. Proklamierte intellektuelle Differenzen sollten mithilfe wissenschaftlicher Kriterien wie dem Gehirngewicht belegt und anhand dieser biologischen Merkmale die inferiore Stellung der Frau in der Gesellschaft gerechtfertigt werden. Im Folgenden soll beispielhaft auf Studien namhafter Wissenschaftler (S. T. von Soemmerring, J. F. Ackermann, K. F. Burdach, H. Schaaffhausen, P. J. Möbius), deren Wirken in den Zeitraum von 1780 bis 1900 einzuordnen ist, eingegangen und aufgezeigt werden, wie sich das zunächst medizinisch geprägte Interesse komparativ-anatomischer Werke zu Untersuchungen mit gesellschaftlicher Intention wandelte. Damit liefert der Aufsatz einen Beitrag zur Historie der modernen Gender Studies.
Abstract
At the beginning of the 19th century German scholars wanted to differentiate men and women on the basis of anatomic brain or cerebrum particularities. With the help of scientific criteria such as the weight of the brain they aimed not only to prove pre-postulated intellectual differences, but also to find scientific justification for the inferiority of women in general and their inferior position and treatment in society. This paper presents insights into and excerpts from studies written by renowned scientists such as S. T. von Soemmerring, J. F. Ackermann, K. F. Burdach, F. Tiedemann, E. Huschke, H. Schaaffhausen, or P. J. Möbius. Covering the years from 1780 to 1900, these materials show how at the beginning the interest was primarily in comparative anatomic studies and results, but was soon mingled with sociological intentions. Hence this study gives insights into the history of modern gender studies of neurosciences.
Schlüsselwörter
Geschlechterforschung - Neurowissenschaften - 19. Jahrhundert - Hirngewicht - Intelligenz
Keywords
gender research - neurosciences - 19th century history - weights and measures - intelligence
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1 Gall lokalisierte Charakterzüge sowie intellektuelle Fähigkeiten (relativ arbiträr) in verschiedenen Hirnregionen und postulierte eine Korrelation von entsprechender Gehirn- und Schädelmorphologie.
Korrespondenzadresse
Anika Schröter
Archiv für Leipziger Psychiatriegeschichte, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie
und Psychotherapie, Universität Leipzig
Semmelweisstraße 10
04103 Leipzig
eMail: anika.schroeter@web.de