Suchttherapie 2011; 12 - S7_2
DOI: 10.1055/s-0031-1284515

Musen, Sirenen, Orpheus und Co – Paradigmenwechsel in der Suchtbehandlung

M Musalek 1
  • 1Anton Proksch Institut, Wien, Österreich

Da eine globale kategoriale Diagnostik der Alkoholkrankheit die in sie gesetzten therapeutischen und prognostischen Erwartungen nicht erfüllen konnte, versuchte man mittels Subgruppierungen und Typologien diesem Problem gerecht zu werden. Aber auch diese Subklassifizierungsversuche scheiterten im Wesentlichen aufgrund der jeder kategorialen Diagnostik inhärenten Grenzziehungs- und Überschneidungsproblematik im Einzelfall: Die überwiegende Mehrzahl der Patienten präsentiert sich als „Mischtyp“, womit solche Klassifizierungsversuche keine bzw. nur sehr geringe Therapie- bzw. Prognoserelevanz haben. Einen Ausweg aus diesem diagnostischen Dilemma bietet der Paradigmenwechsel von der kategorialen zu einer dimensionalen Diagnostik. Eine dimensionale behandlungsrelevante Diagnostik der Alkoholkrankheit hat aber nicht nur phänomen-, pathogenese- und prozessorientiert zu sein, sie muss immer auch verstehens- und vor allem ressourcenorientiert sein, um so die notwendigen Informationen und Grundlagen sowohl für pharmakologische Behandlungsformen als auch für psychotherapeutische und rehabilitative Maßnahmen zu liefern. Der Ressourcenorientierung Rechnung tragend, wurde im Anton Proksch Institut, in Anlehnung an den griechischen Orpheusmythos, ein neues Therapieprogramm entwickelt. Orpheus war im griechischen Mythos ein begnadeter Sänger, der mit seinem Leierspiel den Gesang der Sirenen zu übertönen vermochte und so verhinderte, dass er ihrer Versuchung erlag. Im Gegensatz zu Odysseus, der sich mit qualvollem Verlangen an einen Schiffsmast anbinden musste, hielt Orpheus der unheilvollen Verführung sein kreatives Potenzial entgegen und erreichte, was Odysseus verwehrt blieb: persönliche Freiheit und Autonomie. Das Orpheusmodell, dessen Grundlagen im Beitrag thematisiert werden, markiert einen Paradigmenwechsel in der Suchttherapie, wobei Abstinenz nicht mehr das Endziel, sondern ein Teilziel auf dem Weg zu einem selbst bestimmten freudvollen Leben ist.

Literatur: MUSALEK, M. u. POLTRUM M., 2011, Ars Medica. Zu einern neuen Ästhetik in der Medizin, Parodos Verlag: Berlin 2011. MUSALEK, M., 2008: Von einer Evidence Based Medicine zu einer Human Based Medicine, in Der Nervenarzt, Band 79, Suppl. 4, November 2008, 525 MUSALEK,M. 2008: “Psychopathology and Classification: Married or Divorced“. European Psychiatry 23, Suppl. 2, S30 MUSALEK, M. 2008: “Von einer Defizienz-orientierten zu einer Ressourcen-orientierten Diagnostik der Alkoholkrankheit“ Editorial Sucht 54 (6) MUSALEK, M., 2008: “Neue wege in der Diagnostik der Alkoholkrankheit: Von einer Defizienz-orientierten zur Ressourcen-orientierten Diagnostik“, Journal für Neurologie, Neurochirugie und Psychiatrie, 2008; 9 (3), 46-52, Verlag Krause & Pachernegg GmbH MUSALEK, M., 2007: Sucht und Sehnsucht, CliniCum Neuropsy, 14 MUSALEK, M. 2007: “Diagnostik und Therapie der Alkoholkrankheit“, ProMed 1/2007, Springer Verlag Wien New York, 16-19 MUSALEK,M. 2007: Addiction Treatment and Research: New Strategies and Future Perspectives; Treatment of addiction: from abstinence programs to abstinence supported treatment. European Psychiatry Vol. 22 – Suppl.1, S28 MUSALEK, M. 2007: „Alkoholkrankheit“, State of the Art, Österreichische Ärztezeitung 9., 10. Mai 2007, 39-46 MUSALEK,M. 2006: „Aktueller Stand der Drogentherapie und Substitutionsbehandlung“, Update in Psychiatrie & Psychotherapie Nr.10, März 2006, 13 MUSALEK, M. 2005: „Unser therapeutisches Handeln im Spannungsfeld zwischen Warum und Wozu – Krankheitskonzepte und ihre Auswirkungen auf die tägliche Praxis“, Wiener Zeitschrift f. Suchtforschung 3/4, 5-22