Suchttherapie 2011; 12 - S38_2
DOI: 10.1055/s-0031-1284639

Neue Befunde zur Glutamathypothese der Alkoholabhängigkeit

D Hermann 1, U Frischknecht 1, F Kiefer 1, G Ende 1, W Sommer 1, K Mann 1
  • 1Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim

Die Glutamathypothese der Alkoholabhängigkeit geht davon aus, dass, nach einer Hemmung der glutamatergen Neurotransmission während der Trinkphase, der Alkoholentzug mit einer Disinhibition der glutamatergen Neurotransmission verbunden ist, die die Entzugssymptome verursacht. Während der Abstinenzphase können Alkohol-Schlüsselreize oder negative Emotionen zu einer erhöhten glutamatergen Neurotransmission beitragen, die mit Symptomen einhergeht, die an Entzugssymptome erinnern und so zu Verlangen nach Alkohol und letztendlich zum Rückfall führen. Um diese Hypothesen zu prüfen, wurde in einer translationalen MR spektroskopischen Studie bei 47 alkoholabhängigen Patienten und 8 Ratten während der Alkoholentzugs Glutamatmessungen durchgeführt. Erstmals konnte in dieser Studie durch direkte Glutamatmessung beim Menschen eine Glutamaterhöhung gezeigt werden, die während der folgenden 2–3 Wochen abklang. Die tierexperimentellen Werte zeigten zusätzlich eine Verminderung des Glutamins. Dies weist darauf hin, dass die Glutamaterhöhung nicht durch erhöhte Glutamat-Speicherung bedingt ist, sondern eine verstärkte glutamaterge Neurotransmission anzeigt. Zusätzlich ergaben sich erste Hinweise auf eine bessere Wirksamkeit von Acamprosat bei Patienten mit ausgeprägter Glutamaterhöhung im Entzug. In einer weiteren Studie wurde bei alkoholabhängigen Patienten aus der PREDICT Studie (N=426) retrospektiv die Entzugssymptomatik erhoben und mit der Abstinenzdauer korreliert. Hier zeigte sich, dass Patienten, die behandlungswürdige Entzugssymptome entwickelt hatten auch schneller rückfällig wurden. Beide Ergebnisse zusammen genommen zeigen erstmals eine Glutamaterhöhung im akuten Alkoholentzug und belegen die Relevanz der Alkoholentzugssymptome für den Rückfall. Somit wird die Glutamathypothese der Alkoholabhängigkeit bestätigt. Der Zusammenhang der Glutamaterhöhung mit der Acamprosat-Wirkung ist ein erster Schritt zu einer individualisierten Behandlung alkoholabhängiger Patienten.