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DOI: 10.1055/s-0031-1285845
Editorial
Publication History
Publication Date:
09 August 2011 (online)



Die Schwangerschaft bedeutet in vielerlei Hinsicht eine ganz besondere Lebens- und Entwicklungsphase. Als großartige Erfindung der Evolution zur Erzeugung besonders komplexer Lebewesen, etwa im Vergleich mit Reptilien und Vögeln, haben sich Säugetiere auf diesem Planeten fest etabliert. Menschen stellen dabei mit einer Gestationsdauer von knapp 10 Monaten eine besonders sensible Spezies dar. Erst in jüngster Zeit beginnt die Wissenschaft den Entwicklungs- und „Bau“plan in dieser Lebensphase näher zu verstehen. Immer mehr Risiken der pränatalen Entwicklung werden entdeckt und beschrieben. Es wirkt fast irreal, dass die Schädigung des Ungeborenen durch den Alkoholmissbrauch der Schwangeren erst 1973 wissenschaftlich „entdeckt“ und erforscht wurde. Im Volkswissen war dies als intuitives – aber nicht allzu genaues Wissen – schon lange vorhanden. So glaubten Menschen von der Antike bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, dass entscheidend für die Entwicklung des Föten der Zustand beider Eltern zum Zeitpunkt der Zeugung sei. Insofern wurde auch den Vätern eine besondere Verantwortung für die körperliche, geistige und psychische Entwicklung des eigenen Abkömmlings zugeschrieben. Inzwischen sind eine Vielzahl möglicher Risiken, Störungen und Behinderungen erforscht. Es ist mittlerweile evident, dass der Konsum und Missbrauch psychotroper Substanzen in der Schwangerschaft zu ernsthaften Komplikationen, z. B. Entwicklungsverzögerungen, Früh- und Fehlgeburten sowie bleibenden Behinderungen, führen kann. Im vorliegenden Themenheft haben wir uns in erster Linie auf die legalen Substanzen Alkohol und Tabak konzentriert. Dr. Birgit Hoeft und Prof. Sven Schneider (Mannheim) beschreiben in ihrem Beitrag „Rauchen während der Schwangerschaft“ die vielfältigen Risiken und Schädigungen durch pränatales mütterliches Rauchen. Darüber hinaus weisen sie auf die schwerwiegenden sozialen Ungleichheiten hin, die mit dem Thema „Rauchen in der Schwangerschaft“ einhergehen. Nach aktuellen Übersichtsarbeiten ist insbesondere unter jüngeren, allein stehenden, sozial schlechter gestellten Statusgruppen und Frauen mit mehreren Kindern Rauchen während der Schwangerschaft sehr weit verbreitet. Außerdem zeigt sich bei vielen dieser Frauen eine Risikokumulation bezüglich defizitären Vorsorgeverhaltens und psychosozialer Belastungen. Im zweiten Originalbeitrag geben Manuela Pfinder und Dr. Reinhold Feldmann (Münster) einen Überblick zu den Risiken durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft. In ihrem Beitrag „Die pränatale Alkoholexposition und ihre lebensbegleitenden Folgen“ beschreiben sie das „Fetale Alkoholsyndrom“ (FAS) hinsichtlich Symptomen, Risiken und Konsequenzen. Der dritte Beitrag zum Schwerpunktbereich „Substanzkonsum in der Schwangerschaft“ von Prof. Tanja Hoff et al. (Köln) beschreibt einen neuen Präventionsansatz zur Vermeidung von Suchtmittelkonsum in der Schwangerschaft, der derzeit im Rahmen eines einjährigen BMG-Projekts in Köln bei SKF und SKM entwickelt und erprobt wird.
In unserer Reihe „Pro und Contra“ wird der Vorschlag gesetzlich vorgeschriebener Warnhinweise bei alkoholhaltigen Getränken hinsichtlich des Fetalen Alkoholsyndroms (FAS) von Walter Farke (Warstein/Köln) und Angelika Wiesgen-Pick (Bonn) kontrovers erörtert. Es geht dabei um die Frage, wie notwendig und dringlich der Gesetzgeber präventive Maßnahmen in diesem Bereich ergreifen soll und inwieweit eine empirische Evidenz hierfür gegeben ist.
In einer umfassenden Kasuistik berichtet Udo Röser, Therapiedorf Villa Lilly ( Bad Schwalbach), über die stationäre Behandlung einer drogenabhängigen schwangeren Frau. Dabei wird deutlich, dass der abstinenzorientierte Ansatz während der Schwangerschaft von Drogenabhängigen eine unverzichtbare Risikovorsorge und Prävention für das Ungeborene darstellt. Der stationäre Behandlungserfolg konnte nachstationär durch ein komplexes hilfesystemübergreifendes Behandlungs- und Betreuungssetting gesichert werden. Die Wirksamkeit der Behandlung basiert auf der Integration und Vernetzung von Angeboten aus Sucht-, Gesundheits- und Jugendhilfe.
Als zwei weitere Originalarbeiten sind in diesem Heft ein Beitrag von Dipl.-Psych. Corinna Aguilar-Raab et al. (Heidelberg) zum „Heidelberger Drogenbogen“ (HDB) zur Erfassung von kognitiv-behavioralen Risiko- und Protektivfaktoren beim Konsum illegaler psychoaktiver Substanzen sowie von Dipl.-Psych. Jeanette Röhrig et al. (Freiburg) zur Früherkennung alkoholbezogener Störungen durch optimierte Vernetzung von Hausarzt- und Suchthilfesystem zu finden.
Außerdem finden Sie in dieser Ausgabe der Suchttherapie wie gewohnt, eine Fülle von aktuellen Meldungen, Hinweisen, Kongressberichten und Literaturhinweisen. Als Herausgeber des vorliegenden Themenhefts „Substanzkonsum und Schwangerschaft“ erhoffe ich mir eine fundierte Information und Sensibilisierung der Fachöffentlichkeit zu diesem Thema. Darüber hinaus sind, wie die Beiträge in diesem Heft zeigen, entscheidende gesundheitspolitische Maßnahmen und wirksame Kinderschutzmaßnahmen unabdingbar. Ich wünsche Ihnen – auch im Namen aller Herausgeber und der Redaktion – viel Spaß und eine interessante, bereichernde Lektüre.