Dtsch Med Wochenschr 2011; 136(39): 1945
DOI: 10.1055/s-0031-1286383
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Innovationen der Kardiologie – Herausragende Perspektiven für die kommende Dekade

Innovations in cardiology – outstanding perspectives for the coming decadeM. Gawaz1 , E. Erdmann2
  • 1Kardiologie und Kreislauferkrankungen, Abteilung Innere Medizin III, Universitätsklinikum Tübingen
  • 2Herzzentrum, Uniklinik Köln
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Publication Date:
20 September 2011 (online)

Die Herzmedizin hat in den vergangenen Jahrzehnten Herausragendes für die Versorgung unserer Patienten geleistet. Grundlage dieser Entwicklung ist es, durch gezielte Grundlagenforschung ein immer tieferes Krankheitsverständnis zu bekommen, neue Behandlungsperspektiven aufzuzeigen und zu entwickeln, gefolgt von einer sorgfältigen Überprüfung in klinischen Studien. So konnte in den vergangenen Jahrzehnten die Sterblichkeit des akuten Myokardinfarktes durch innovative medikamentöse und interventionelle Strategien nahezu halbiert, und es konnten Folgestörungen wie Herzinsuffizienz deutlich verringert werden. Zusätzlich konnten Patienten identifiziert werden, die nach erlittenem Herzinfarkt ein hohes Risiko für einen plötzlichen Herztod aufweisen. Vielen dieser Patienten kann durch den gezielten Einsatz von implantierbaren Defibrillatoren dieses Schicksal erspart bleiben.

Im Jahr 2002 implantierte der Franzose Alain Cribier zum ersten Mal erfolgreich eine Katheter-gestützte Aortenklappenbioprothese beim Menschen und gab damit einen Startschuss in der interventionellen Kardiologie und der minimalinvasiven Herzchirurgie. Mittlerweile wird dies an erfahrenen Zentren routinemäßig mit sehr gutem Ergebnis durchgeführt. Für viele Patienten, die bisher als nicht behandelbar galten, bietet sich nunmehr eine aussichtsreiche Behandlungsperspektive. Der ältere und polymorbide Patient mit kritischer Aortenklappenstenose steht dadurch im Fokus der Kardiologie. Zunehmend werden transfemorale Aortenklappenprothesen lediglich unter Lokalbetäubung ohne Narkose schonend und erfolgreich implantiert. Dies erspart insbesondere Älteren eine tiefe Narkosesedierung und eine längere Rekonvaleszenz. Momentan wird im Rahmen von Registern und klinischen Studien die Wertigkeit der neuen Behandlungsmethode klargestellt, um den bestmöglichsten Therapieverlauf zu garantieren. Die neuen interventionellen Therapiemöglichkeiten haben darüber hinaus die Forschungsaktivitäten im Bereich der Aortenklappenstenose neu stimuliert. Ein besonderer Aspekt besteht in der Beuteilung und Diagnostik der sogenannten Low-Gradient-Aortenklappenstenose. Hier brauchen wir mehr klinische Information, wie diese zu bewerten ist und welche Behandlungsmethoden sinnvoll und erfolgreich sind.

Für die Mitralklappeninsuffizienz konnten erfolgreiche Methoden der klappenerhaltenden Rekonstruktion entwickelt werden. Interventionell wurden durch „Mitral-Clips” neue Möglichkeiten entwickelt, die vielen bisher nicht operablen Patienten zugute kommen. Die Wertigkeit der Methode muss durch weitere klinische Studien evaluiert werden.

Durch Verbesserung der medizintechnischen Produkte und Entwicklung von Ablationskathetern mit Möglichkeit der Anpressdruckkontrolle sind neue Perspektiven für die invasive Elektrophysiologie entstanden. In Kombination mit geeigneten Navigationssysteme können nun komplexe Ablationen strahlenfrei, d. h. ohne eine Durchleuchtung, durchgeführt werden. Davon werden insbesondere Kinder und junge Erwachsene und in Einzelfällen auch Schwangere profitieren.

Vor Kurzem wurde eine Alternative zu Vitamin-K-Antagonisten (Phenprocoumon) in Form eines oralen direkten Thrombinantagonisten (Dabigatran) für die Prävention von Thromboembolien bei Vorhofflimmern zugelassen. Die Zulassung weiterer ähnlicher Wirkstoffe (Faktor-Xa-Inhibitoren) wird in absehbarer Zeit folgen. Damit werden für viele Patienten mit erhöhtem Schlaganfallrisiko bei Vorhofflimmern alternative Medikamente zur Verfügung stehen, deren Wirksamkeit aufgrund der zuverlässigeren Bioverfügbarkeit nicht regelmäßig durch Gerinnungskontrollen überprüft werden müssen. Auch wird die Betreuung vieler Patienten einfacher werden, da die langwierige Einstellungsphase, wie unter Phenprocoumon notwendig, entfällt (rasche Wirksamkeit nach Ersteinnahme). Einige wichtige Fragen stellen sich schon heute: Wie verfahren wir mit Notfallpatienten, die unter einer chronischen Therapie mit den neuen Antikoagulanzien stehen? Welche diagnostischen Tests stehen rasch zur Verfügung für Patienten, die vor einer Operation stehen? Welche Möglichkeiten zur Gegensteuerung gibt es?

Die innovative Herzmedizin wird auch in den kommenden Jahren wesentliche Veränderungen in der Behandlung unserer Patienten bewirken. Unsere Aufgabe wird auch sein, neue Möglichkeiten über die klinischen Studien hinaus kritisch zu bewerten. Nicht alles was technisch machbar ist, wird auch sinnvoll sein. Aufgrund ökonomischer Gesichtpunkte und naturgemäß begrenzter Ressourcen müssen wir den Einsatz neuer medikamentöser und interventioneller Behandlungen kritisch und wissenschaftlich diskutieren und die Therapiekonzepte zunehmend individualisieren. Eine wesentliche Aufgabe wird sein, schonende und wirksame Therapiemöglichkeiten weiterzuentwickeln, die insbesondere Menschen im fortgeschrittenen Lebensalter zu Gute kommen. Sie müssen dabei gar nicht unbedingt die Prognose, sondern vielmehr die Lebensqualität verbessern.

Die innovative Kardiologie wird Antworten finden!

Prof. Dr. M. Gawaz

Abteilung Innere Medizin III
Medizinische Klinik und Poliklinik
Universitätsklinikum Tübingen

Otfried-Müller-Straße 10

72076 Tübingen

Phone: 07071/29-83688

Email: Meinrad.Gawaz@med.uni-tuebingen.de

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