Dtsch Med Wochenschr 2012; 137(05): 227
DOI: 10.1055/s-0031-1298871
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JAK2-Mutation und Thrombose – wann ist ein Screening sinnvoll?

JAK2 mutation and thrombosis – recommendations for screening
M. Held
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Publikationsdatum:
25. Januar 2012 (online)

Zum Beitrag in DMW 48/2011

Mit großem Interesse habe ich den Beitrag von Linnemann und Lindhoff-Last [4] gelesen. Die Autorinnen führen aus, dass bei myeloproliferativen Erkrankungen und Nachweis einer JAK2V617F-Mutation aufgrund des hohen Risikos für Thromboserezidive trotz therapeutischer Antikoagulation auch dann eine zytoreduktive Therapie erwogen werden sollte, wenn die Zellzahl im peripheren Blut normal sei.

Strategien zur Senkung des Thrombembolie-Rezidivrisikos dieser Patienten, die oft Mehrfachorganthrombosen und -embolien erleiden, sind sehr zu begrüßen. Auch ist es pathophysiologisch sinnvoll, den molekularen Marker in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund muss aber auf die in der klinischen Realität noch vollkommen unzureichend umgesetzte Maßgabe der Vollantikoagulation bei diesem Hochrisikokollektiv hingewiesen werden. Die Erfahrung zeigt, dass das höhere Thrombembolierisiko von Patienten mit myeloproliferativen Erkrankungen im allgemeinen Bewusstsein noch nicht verankert ist. Hier sei auf einen Patienten verwiesen, der im Frühjahr dieses Jahres in unserer Klinik mit akutem Nierenversagen, Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz sowie vorausgegangenen Diarrhoen aufgenommen wurde.

Vorbekannt waren eine Polycythämia vera, Z. n. Hirn- und Milzinfarkt, Z. n. tiefer Beinvenenthrombose und eine koronare Herzerkrankung. Vor der Aufnahme bestand bei diesem Patienten keine Vollantikoagulation. Trotz angemessener Volumentherapie verschlechterte sich sein Zustand; es kam zu protrahiertem Rechtsherzversagen und zunehmender Dyspnoe. Bei Dilatation der rechten Herzhöhlen, Rechtsherzhypertrophie, aber normaler linksventrikulärer Funktion waren Zeichen der chronischen und akuten Rechtsherzbelastung zu sehen. Trotz Einleitens einer Vollantikoagulation und kreislaufstützender Therapie unter intensivmedizinischen Bedingungen starb der Patient in der Folge unter dem Bild einer akuten respiratorischen und Kreislaufinsuffizienz. Als Ursache sind rezidivierende Lungenembolien auf dem Boden der Polycythämia vera und konsekutiver Rechtsherzinsuffizienz anzunehmen. Neben der möglichen Aggravierung der rheologischen Verhältnisse durch den Flüssigkeitsverlust infolge der Diarrhoe bestand das Hauptproblem in der fehlenden dauerhaften Vollantikoagulation trotz multipler thrombembolischer Ereignisse in der Vorgeschichte.

Patienten mit myeloproliferativen Erkrankungen haben zudem ein hohes Risiko für eine chronisch-thrombembolische pulmonale Hypertonie (CTEPH) [2], insbesondere bei Vorliegen einer JAK2-Mutation [1]. Die aktuelle Leitlinie formuliert, dass bei Patienten mit idiopathischer unprovozierter Lungenembolie eine Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten für mindestens 3 Monate durchgeführt werden sollte, bei stabiler Blutverdünnung und geringem Blutungsrisiko aber eine dauerhafte Antikoagulation zu erwägen sei [3] [5].

Bei Patienten mit myeloproliferativen Erkrankungen sollte bereits nach der ersten Thrombembolie eine lebenslange Vollantikoagulation erwogen werden. Der Nachweis molekularer Marker, wie der einer JAK2V617F-Mutation, könnten im Sinne der Risikostratifizierung zukünftig zusätzlich für die Entscheidungsfindung „pro dauerhafte Vollantikoagulation“ und nicht nur „pro zytoreduktive Therapie trotz normaler Zellzahlen im peripheren Blut“ genutzt werden.

 
  • Literatur

  • 1 Adir Y, Humbert M. Pulmonary hypertension in patients with chronic myeloproliferative disease. Eur Respir J 2010; 35: 1396-1406
  • 2 Dingli D, Utz JP, Krowka MJ et al. Unexplained pulmonary hypertension in chronic myeloproliferative disorders. Chest 2001; 120: 801-808
  • 3 Konstantinidis S, Janssens U, Mayer E et al. Kommentar zu den ESC-Leitlinien „Guidelines on Diagnosis and management of Acute Pulmonary Embolism“. Der Kardiologe 2009; 3: 272-282
  • 4 Linnemann B, Lindhoff-Last E. JAK2-Mutation und Thrombose – wann ist ein Screening sinnvoll?. Dtsch Med Wochenschr 2011; 136: 2454-2457
  • 5 Torbicki A, Perrier A, Konstantinidis SV et al. Guidelines on the diagnosis and management of acute pulmonary embolism: The Task Force for the Diagnosis and Management of Acute Pulmonary Embolism of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2008; 29: 2276-2315