Zeitschrift für Palliativmedizin 2012; 13(01): 20
DOI: 10.1055/s-0031-1301130
Forum
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Patientenautonomie am Lebensende – Die ärztlich verantwortete Entscheidung ist weiter gefragt

Further Information

Publication History

Publication Date:
12 January 2012 (online)

 

Bei medizinisch-technischen Entscheidungen am Lebensende kann das Konzept der Patientenautonomie nicht bedeuten, dass sich Ärzte aus der Verantwortung ziehen und alle Entscheidungen den Patienten bzw. Angehörigen überlassen, so JA Billings und EL Krakauer
Arch Intern Med 2011; 171: 849–853

Die Entwicklung lebensrettender Technologien, z. B. bei der kardiopulmonalen Wiederbelebung, war zweifellos ein großer medizinischer Fortschritt. Doch wurden lebensrettende Technologien immer breiter eingesetzt, auch wenn die Prognose nach Wiederbelebung extrem schlecht war. Diese Entwicklung traf mit einer anderen zusammen: Das Arzt-Patienten-Verhältnis veränderte sich vom paternalistischen Konzept hin zu einer gemeinsamen Entscheidungsfindung bei größerer Patientenautonomie und immer besseren Informationsmöglichkeiten auch für medizinische Laien. Zudem führte die Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung dazu, dass die medizinische Leistung immer mehr eine Ware wurde und der Patient zum kritischen Konsument. Ärzte sahen sich zudem – insbesondere in den USA – der Gefahr von juristischen Auseinandersetzungen bedroht.

Es hat sich daraus nach Meinung der amerikanischen Autoren eine medizinische Praxis entwickelt, die durch eine übermäßige, reflexartige Achtung eines wenig reflektierten Konzepts der Patientenautonomie unbeabsichtigt die Patientenautonomie auf ganz andere Weise beeinträchtigt. Patienten oder ihre Angehörigen bzw. Betreuer sollen dabei anstelle der betreuenden Ärzte in einer nicht angemessenen und so auch gar nicht gewünschten Form Verantwortung für medizinisch-technische und lebensrelevante Entscheidungen übernehmen, z. B. auf der Intensivstation, wenn sie mit einer für sie neuen, noch wenig verarbeiteten Situation völlig überfordert sind. Dabei kann es vorkommen, dass Ärzte bei lebenswichtigen Entscheidungen ihre Meinung zurückhalten, selbst wenn sie ein Vorgehen für schädlich halten, und die Entscheidung, z. B. über die Reanimation, ganz den Laien überlassen. In den Augen der Autoren brechen damit Ärzte den Bund mit den Patienten, die die ärztliche Expertise und Erfahrung dringend für so wichtige Entscheidungen – gerade am Lebensende – benötigen. Ohne diese medizinische Expertise ist die Patientenautonomie unterhöhlt, so die Autoren.