Psychiatr Prax 2012; 39(01): 51-53
DOI: 10.1055/s-0031-1301140
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Herbsttagung der Bundesdirektorenkonferenz am 20./21. Oktober 2011 im Asklepios Fachklinikum Brandenburg:
"Warum denn überhaupt noch stationäre Behandlung?" – Indikation zur stationären Behandlung aus der Perspektive Betroffener, Angehöriger und Professioneller

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Publication Date:
13 January 2012 (online)

 

Verantwortlich für diese Rubrik: Manfred Wolfersdorf, Bayreuth; Iris Hauth, Berlin

Die Diskussion über die Entwicklung des neuen Entgeltsystems für Psychiatrie und Psychosomatik ist im letzten Jahr nach Anfrage des BMG und nach Bekanntwerden der ersten Eckpunkte zur weiteren Gestaltung des ordnungspolitischen Rahmens geprägt von verschiedenen Standpunkten, inwieweit das neue Entgeltsystem neue Versorgungsformen initiieren und befördern soll. Dazu zählen das Regionalbudget in Schleswig-Holstein, ein Regionalbudget, das auch niedergelassene Leistungserbringer einbezieht, patientenzentrierte Budgets und integrierte Versorgungsformen.

Die bisherige Diskussion seitens der Fachleute ist motiviert von den Wünschen nach einer qualitätsvollen Versorgung für psychisch erkrankte Menschen, Erfahrungen aus einzelnen Regionen und Projekten. Die Krankenkassen werden motiviert durch die Sorge, dass das neue Entgeltsystem auf Basis von Tagespauschalen die Krankenhausaufenthalte und deren Verweildauern ansteigen lassen könne und somit die Kosten für die Behandlung psychisch erkrankter Menschen im Krankenhaus steigern.

Zur Förderung einer sachlichen und fundierten Weiterentwicklung des Versorgungssystems ist es dringend notwendig, Daten aus dem stationären, teilstationären und ambulanten Versorgungssektor zu Rate zu ziehen. Sie stehen bisher nur den Krankenkassen und dem InEK zur Verfügung. Um mit Krankenkassen und den Entscheidungsträgern sachgerecht diskutieren zu können, werden die DGPPN und die BDK gemeinsam ein Projekt fördern, das einerseits Daten der Versorgung einer großen Krankenkasse mit über 12 Mio. Mitgliedern in Bezug auf ambulante, teilstationäre und stationäre Versorgung sichtet, darüber hinaus soll eine Stichprobe zunächst von 40–50 Minuten anhand des §21-er Datensatzes und Struktur- und Prozessdaten ausgewertet werden.

Im Vortragsteil der Herbsttagung stellte Herr Repschläger "Versorgungsdaten der stationären, teilstationäre und ambulanten Behandlung psychisch erkrankter Versicherter", erste Auswertungen der Daten der Barmer GEK zur Behandlung psychisch erkrankter Mitglieder vor.

Um zukunftsträchtig eine den Bedürfnissen der psychisch Kranken entsprechende Versorgung und deren Finanzierung zu entwickeln, sind die Bedürfnisse der Betroffenen und Angehörigen wesentlich. Vor diesem Hintergrund Psychiatrieerfahrene, Angehörige und Professionelle aus den verschiedenen Perspektiven der ambulanten, teilstationären und stationären Behandlung ihre Positionen dar.

Frau Fricke aus dem Vorstand des Bundesverbandes Psychiatrieerfahrener betonte, dass es für betroffene Menschen wichtig sei, selbst wählen zu können in welchem Setting sie behandelt werden. Vorrangig sei die Behandlung im ambulanten Setting, manchmal gäbe es auch Situationen in denen die Betroffenen Beistand und Ruhe brauchten. "Es ist gleichgültig, wo das Bett steht, hauptsächlich der Mensch fühlt sich wohl und gut umsorgt." Frau Fricke betonte, dass eine Flexibilisierung der Behandlung anzustreben sei und führte darüber hinaus Inhalte der UN-Konventionen auf.

Frau Schliebener, Vorsitzende des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch Kranker, geht aus Sicht der Angehörigen davon aus, dass ambulante Behandlung nicht immer ausreicht. Die Belastung, die Angehörige erfahren bei zu kurzen stationären Aufenthalten und ambulanten Krisen, ist enorm hoch. Zur Qualitätsverbesserung der stationären Behandlung führt sie eine andere Haltung der Professionellen, Abschließen von Behandlungsvereinbarungen auf. Darüber hinaus wäre es wichtig, vermehrt tagesklinische Behandlung auch für akute Patienten einzurichten, Möglichkeiten zu schaffen, dass die Institutsambulanz auch aufsuchend im Sinne des Hometreatments arbeiten kann und eine Förderung der bisher zu wenig umgesetzten integrierten Versorgung.

Prof. Dr. Driessen stellte in seinem Statement für die PIA ein zentrales Behandlungselement, die Institutsambulanz als erste Anlaufstation bei Krisen vor. Die Institutsambulanz entscheidet dann, inwieweit die Behandlung intensiv durch das Institutsambulanzteam auch auswirkend zu Hause durchgeführt werden könne oder inwieweit teilstationäre oder stationäre Behandlung nötig sei. Die PIA könne in Zukunft die zentrale Behandlungseinheit sein, die das Casemanagement für den Patienten sowohl im und um das Krankenhaus herum verantwortlich übernehme.

Prof. Dr. Längle betonte, dass die ehemals rehabilitativ ausgerichteten Tageskliniken seit Jahren auch akute Behandlung bzw. Psychotherapiebehandlung durchführten. Nach neueren Multicenterstudien wird geschätzt, dass mindestens 30% der heute noch stationären Patienten auch tagesklinisch behandelt werden könnten.

Prof. Pollmächer hatte die Aufgaben ein Plädoyer für die stationäre Behandlung zu halten. Dabei betonte er, dass auch psychisch erkrankte Menschen ebenso wie somatisch Erkrankte ein Recht auf stationäre Krankenhausbehandlung haben. Die Indikation vollstationärer psychiatrischer Behandlung nach deren Kontraindikation, Effektivität und Effizienz, Kosten und Nutzenverhältnis sollten ideologiefrei geklärt werden. Problematisch ist die empirisch vergleichende Forschung zu Behandlungssettings, die "extrem komplexe Kombinationspräparate" sind.

Zusammenfassend auch unter Einbezug einer ausführlichen Diskussion mit Prof. Dr. Kunze, der die Vorschläge der "Aktion psychisch Kranke" darstellte, endete die Diskussion mit dem Ergebnis, dass auf jeden Fall der Entwicklungsprozess des neuen Entgeltsystems nach §17d mit Verbesserung der Kalkulationsinstrumente und sinnvoller Anpassung an die Belange der psychisch Kranken fortgeführt werden sollte. Darüber hinaus befürworteten alle, dass definierte und strukturierte Modellprojekte wie z. B. das Krankenhausbudget à la Itzehoe, personenzentrierte Budgets und ähnliches gefördert werden sollten und in wissenschaftlicher Begleitforschung evaluiert, um nach einer angemessenen Zeit entscheiden zu können, inwieweit sich diese neuen Versorgungsformen und deren Finanzierung in die Regelversorgung implementieren lassen.

Im weiteren Verlauf der Herbsttagung wurde ein Update zur aktuellen Entwicklung des Entgeltsystems speziell zu den Themen Eckpunktepapier des BMG, OPSWeiterentwicklung, PIA-Prüfauftrag nach §17d gegeben.

Im sog. Verbandsteil der Tagung stellten die Arbeitskreise der Bundesdirektorenkonferenz aktuelle Themen vor. Seitens des Vorstandes der BDK gab es im Vorfeld ein Treffen mit den Leitern der Arbeitskreise um die gemeinsame Arbeit zu intensivieren.

Die Landessprecher berichteten schwerpunktmäßig zu den Fragen der Umsetzung der Sicherheitsverwahrung und des Therapieunterbringungsgesetzes, der Umsetzung der 90- bzw. 100%igen PsychPV in den Kliniken sowie neue integrierte Versorgungsverträge bzw. Modellprojekte in ihren Ländern.

Die Herbsttagung mit ca. 80 Teilnehmern war geprägt durch eine intensive, rege Diskussion und durch ein von Dr. Hohl-Radke, dem Gastgeber, ausgerichtetes Begleitprogramm. Ein besonderes Vergnügen bereitete allen Teilnehmern das bewegende Konzert von Prof. Steinberg (Cello) und Prof. Günther (Klavier) und als Gast Prof. Forchert (Violine).

Dr. I. Hauth
Vorsitzende der BDK