Dtsch Med Wochenschr 2012; 137(37): 1791
DOI: 10.1055/s-0032-1305182
Editorial
Viszeralmedizin
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Viszeralmedizin: die Zusammenarbeit hat sich bewährt!

Visceral medicine: a successful collaboration
J. F. Riemann
1   ehem. Direktor der Medizinischen Klinik C, Klinikum der Stadt Ludwigshafen gGmbH
,
P. Layer
2   Medizinische Klinik Israelitisches Krankenhaus Hamburg
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Publication History

Publication Date:
06 September 2012 (online)

Die interdisziplinäre Ausrichtung des Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und der Deutschen Gesellschaft für Viszeralmedizin hat inzwischen Tradition – genauso ist es Tradition, dass die Deutsche Medizinische Wochenschrift diesem Kongress ein Schwerpunktheft widmet, das wichtige Themen herausgreift.

Die Divertikelkrankheit ist seit Jahren eines der wichtigen Themen des Kongresses und steht beispielhaft für die interdisziplinäre Ausrichtung. Das liegt zum einen an ihrer Häufigkeit, zum anderen aber auch daran, dass bislang große Therapiestudien fehlen. Dennoch ist in letzter Zeit Bewegung in die Diskussion gekommen; Langzeitstudien zum Verlauf bilden die Basis für modernere Konzepte, in denen die konservative Therapie einen immer wichtigeren Stellenwert einnimmt. Man muss allerdings frühzeitig erkennen, wann ein interdisziplinäres Vorgehen gerechtfertigt oder sogar zwingend ist.

Auch die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) mit mehr als 300 000 Betroffenen nehmen immer wieder einen wichtigen Platz auf dem Kongress ein. Bei den CED, die als chronische Krankheiten vor allem auch junger Menschen ganz besondere Ansprüche an die Behandlungsqualität begründen, bestehen ganz offensichtlich relevante Versorgungsprobleme. Vor besonderer Bedeutung sind optimierte Strategien für die Therapie mit immunsuppressiven Substanzen. In dem Ausmaß, in dem die Zahl der einschlägigen Studien zunimmt, wächst auch die Notwendigkeit nach individuell angepassten, rational begründeten Behandlungskonzepten.

Weniger bedrohlich, dennoch aber mitunter ebenso einschneidend für die Lebensqualität sind chronische funktionelle Darmkrankheiten, insbesondere auch die funktionelle Diarrhoe, welche die Betroffenen durch heftige, unberechenbare und imperative Durchfälle, nicht selten im Stundentakt geradezu zwingt, ihr gesamtes Berufs- und Privatleben nach der Verfügbarkeit einer Toilette auszurichten. Auch wegen des Mangels an kausalen Behandlungsmöglichkeiten ist die funktionelle Diarrhoe manchmal ein ausgesprochen schwieriges, therapeutisch schwer zu beeinflussendes Krankheitsbild. Neue Erkenntnisse über die Rolle der intestinalen Darmflora (des „Mikrobioms“) stehen ebenfalls im Zentrum der Tagung. Sie haben überdies dazu geführt, Probiotika wie z. B. Laktobazillen und deren Stoffwechselprodukte erfolgversprechend einzusetzen und damit neue, wirksame und praktisch nebenwirkungsfreie Therapieoptionen aufzuzeigen – wie in der Pilotstudie in diesem Heft beschrieben.

Die provokative These „Brauchen wir Magensäure?“ beleuchtet ein wichtiges klinisches Thema vor dem Hintergrund, dass weltweit Unmengen an Säureblockern verschrieben und eingenommen werden, ohne dass immer eine vernünftige Indikation zugrunde liegt. Dabei sind Nebenwirkungen einer Langzeittherapie durchaus nicht selten und können vor allem bei älteren Menschen und in der Kombination mit anderen Medikamenten zu Schäden führen.

Kasuistische Mitteilungen über seltene Befunde zwingen immer wieder dazu, die differenzialdiagnostischen Überlegungen zu fokussieren, so wie in dem Fall eines seltenen sporadischen Gastrinoms beim Jugendlichen und einem ungewöhnlichen Röntgenbefund im Rahmen einer ERCP.

In einem solchen Editorial (ebenso wie beim Kongress!) darf natürlich auch das kolorektale Karzinom nicht fehlen. In Deutschland gibt es zwar mit einem opportunistischen Screening ein gutes Vorsorge-/Früherkennungsangebot. Das Bessere ist jedoch wie immer der Feind des Guten. Auf der einen Seite sind politische Änderungen im Sinne eines Einladungsverfahrens in Sicht. Auf der anderen Seite werden neue Tests entwickelt, die möglicherweise weniger invasiv, sensitiver und spezifischer sind als die bisher gängigen. Goldstandard bleibt nach wie vor die Koloskopie, die jedoch im Regelfall nur denen vorbehalten bleiben sollte, die tatsächlich eine Läsion mit einer Behandlungsnotwendigkeit aufweisen.

Die Therapie des metastatischen Kolonkarzinoms hat sich in den letzten Jahren entscheidend gewandelt. Neue Operationstechniken, vor allem aber eine chemotherapeutische Vorbehandlung haben dazu geführt, dass auch Lebermetastasen in einem substanziellen Anteil noch in kurativer Intention operativ entfernt werden können. Dieses Thema ist ideal geeignet für ein interdisziplinäres Gespräch, wie es ja in der Regel in den Tumorboards geführt wird. So werden sich sowohl der Gastroenterologe als auch der Chirurg zu diesem Thema äußern, wobei das inzwischen erreichte Ausmaß der Übereinstimmung zwischen den Disziplinen die eingangs erwähnte Interdisziplinarität in der Viszeralmedizin erneut unterstreicht. Dies lässt sich (in einer einstigen „Pro-und-Contra“-Frage!) als weiterer, schöner Beleg dafür lesen, wie unverkrampft hier das fachspezifische „Territorialdenken“ verlassen wurde und wie sehr umgekehrt das optimale Behandlungsergebnis, also das Patientenwohl, die Argumente bestimmt.

Wir wünschen Ihnen beim Lesen viele neue Erkenntnisse und laden Sie sehr herzlich ein, den Kongress in Hamburg zu besuchen!