Klinische Neurophysiologie 2012; 43(04): 296
DOI: 10.1055/s-0032-1309029
Buchbesprechungen
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Grundlagen der ärztlichen Begutachtung

Contributor(s):
Anja Windhagen
1   Hannover
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
20 December 2012 (online)

Zoom Image

[1] Das vorliegende Buch wendet sich an Ärzte in der Weiterbildung, die Grundlagenwissen für die Erstellung medizinischer Gutachten erwerben wollen.

Im ersten allgemeinen Teil des Buches werden ärztliche Gutachten als Grundlage von Rechtsentscheidungen im Sozialrecht, Verwaltungsrecht, Zivilrecht und Strafrecht besprochen. Hier werden die häufigsten Bereiche vorgestellt, in denen Ärzte als Gutachter beauftragt werden. Es werden Vorschläge zum Aufbau eines medizinischen Gutachtens gemacht (Sachverhalt/Vorgeschichte, subjektive Beschwerden, Befund, Beurteilung) und hilfreiche Tipps für die Beurteilung gestützt durch zahlreiche Fallbeispiele überwiegend im orthopädisch-unfallchirugischen Bereich gegeben. Die entsprechenden gutachterlichen Fragestellungen und ihre Beantwortung sind anschaulich und folgen dem Prinzip des „case based learning“. Empfehlungen für ein standardisiertes Vorgehen in der Beurteilung werden gut begründet und sind nachvollziehbar (Beispiel: Beurteilung auf Grundlage der „herrschenden Meinung“, Leitlinien oder Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaf­ten, um eine Gleichbehandlung aller Betroffenen zu gewährleisten). Dieses Kapitel ist gut strukturiert und eingängig geschrieben und somit als Einstieg in die medizinische Begutachtung, unabhängig vom Fachgebiet, geeignet.

Die folgenden Unterkapitel zur Begutachtung der Leistungsfähigkeit enthalten umfangreiches juristisches Grundlagenwissen, was insbesondere für die sozialmedizinische Begutachtung von Interesse ist. Diese Kapitel sind eher theoretisch gehalten und enthalten weniger konkrete Hilfestellungen für den Gutachter. Hier werden gerade aus neurologischer Sicht relevante gutachterliche Probleme nur kurz angerissen (Beispiel: objektive Beurteilung bei organischen Erkrankungen vs. Somatisierung, zumutbare Willensanstrengung, Anstrengungsbereitschaft). Positiv ist wiederum die Darstellung von Mustern für verschiedene Gutachtenformen, die konkret als Hilfestellung für die Gutachtenerstellung herangezogen werden können.

Im zweiten Teil des Buches wird die kausalitätsbezogene Begutachtung in verschiedenen Rechtsgebieten dargestellt. Auch hier werden sehr ausführlich juristische Begrifflichkeiten dargestellt und diskutiert, wo eine Konzentration auf die medizinisch-gutachterlich relevanten Fragestellungen besser gewesen wäre. Speziell für das neurologische Fachgebiet finden sich wenig konkrete Anknüpfungspunkte. Ein Gutachtenbeispiel mit neurologischem Inhalt (traumatische Carotisdissektion nach Unfall mit Skalpierungsverletzung vs. spontane Carotisdissektion) zeigt sicherlich gut die Komplexität, die speziell bei neurologischen Gutachten auftreten kann. Im dargestellten Gutachtenbeispiel ist aus neurologischer Sicht allerdings auch eine andere Einschätzung möglich.

Im dritten Kapitel zur Zustandsbegutachtung finden sich konkrete Bemessungsempfehlungen nur für die private Unfallversicherung (Gliedertaxe), nicht aber für MdE und GdB. Für die Beurteilung von Hirnschäden in der privaten Unfallversicherung werden andere Empfehlungen ausgesprochen als in dem Standardwerk „Begutachtung in der Neurologie (Widder/Gaidzik)“, was gerade für den Einsteiger in das Gutachtenwesen ­irritierend ist.

„Nebenbefundlich“ ist anzumerken, dass einige Abbildungen in dem vorliegenden Buch mehrfach vorkommen.

Als Fazit ist das vorliegende Buch für den neurologischen Gutachter eher entbehrlich, zumal unter den Verfassern die Neurologie nicht vertreten ist.