Handchirurgie Scan 2012; 01(01): 22-23
DOI: 10.1055/s-0032-1309491
Diskussion
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Karpaltunnelsyndrom - Neues System zur Dekompression

Bei symptomatischem Karpaltunnelsyndrom (KTS) erfolgt die operative Spaltung des Retinaculum flexorum meist über einen offenen oder minimal-offenen Zugang. Bruce McCormack und Kollegen haben ein System entwickelt, Manos™ Carpal Tunnel Release (CTR), dessen Vorteile sie in einer minimalinvasiven Retinakulumspaltung unter Nervenstimulation sehen.
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Publication History

Publication Date:
08 November 2012 (online)

J Hand Surg Am. 2012; 37: 689 – 694

Erste Ergebnisse der Studie zeigen, dass sich das Manos-CTR-System zur Behebung eines KTS gut eignet und nicht zu wesentlichen Komplikationen führt. So Bruce McCormack et al. über das von ihnen entwickelte System, zu dem sie die retrospektiven Erfahrungen an 52 Patienten publizierten. Alle Patienten litten an einem mittels Anamnese, körperlichem Befund und Elektrophysiologie gesicherten KTS und wurden zwischen November 2010 und April 2011 mithilfe des Manos-Systems in Lokalanästhesie (wide-awake-approach) ohne Blutsperre operiert.

Mit dem „Manos“ wird das Retinakulum ausgehend von einer kleinen proximalen Inzision ohne direkte Sicht durchtrennt. Der Patient ist dabei wach und kann beim Vorschieben der stumpfen 2,1-mm-Sonde unter das Retinakulum Feedback geben. In das System integriert ist ein handelsüblicher Nervenstimulator, mit dessen Hilfe durch kontinuierliche Stimulation die korrekte Lage überprüft wird. Über das Instrument wird dann eine einseitig schneidende Messerklinge ausgeklappt, mit der das Retinakulum nach erneuter Lagekontrolle unter Zurückziehen von distal nach proximal durchtrennt wird.

Beurteilt wurden Restsymptomatik und Komplikationen 2 Tage, 2 Wochen und 3 Monate postoperativ, außerdem beantworteten die Patienten nach 3 Monaten einen Fragebogen (Levine-Questionnaire) zu Symptomschwere und Funktionsfähigkeit der operierten Hand. Die Ergebnisse waren in Bezug auf Symptomatik und Funktionsfähigkeit denen nach konventionellem Vorgehen (offen oder endoskopisch) vergleichbar. Nerven-, Gefäß- oder Sehnenverletzungen traten bei keinem Patienten auf. Von den 16 Patienten, die vor der Operation berufstätig gewesen waren, kehrten 15 nach spätestens 1 Monat wieder an ihren Arbeitsplatz zurück. Der 16. Patient klagte zu diesem Zeitpunkt weithin über Schmerzen und Parästhesien; Untersuchungen der Nervenleitgeschwindigkeit zeigten über die Folgezeit aber eine allmähliche Besserung und die Symptomatik bildete sich im Verlauf von 4 Monaten zurück. Bei 4 Patienten fanden sich unbefriedigende Ergebnisse mit weiterbestehender Symptomatik. Bei 3 Betroffenen lag eine Zervikalstenose bzw. eine Myelomalazie mit Central-Cord-Syndrom nach vorangegangener Operation an der Halswirbelsäule vor. Bei 1 Patienten wurde nach 1 Monat eine offene Revision vorgenommen und eine inkomplette Durchtrennung des Retinakulums im distalen Drittel behoben, danach bildete sich die Symptomatik zurück.

Fazit

Die vorläufigen Ergebnisse mit dem Manos-CTR-System scheinen ermutigend, so die Autoren und Entwickler. Nun müssten umfangreichere und prospektive Studien folgen, mit einer längeren Nachbeobachtungszeit und möglichst im direkten Vergleich mit den andern Verfahren.

Dr. Elke Ruchalla, Trossingen

Kommentar

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Prof. Dr. Karl-Josef Prommersberger, Klinik für Handchirurgie Bad Neustadt, Salzburger Leite 1, 97616 Bad Neustadt a. d. Saale

Die vorliegende Arbeit kann mich vom Nutzen des MANOS-CTR-Systems nicht überzeugen, auch wenn ich durchaus einen potenziellen Gewinn an Sicherheit in der mit dem Instrument möglichen Elektrostimulation sehe. Das wichtigste Ergebnis der vorliegenden Studie, nämlich dass in 10 Fällen das MANOS-CTR-Instrument aufgrund einer Irritation des N. medianus bei der Elektrostimulation neu platziert werden musste, relativiert sich vor dem Hintergrund der retrospektiven Studie. Wurde in allen Operationsberichten festgehalten, ob es bei der Elektrostimulation zu einer Nervenirritation kam oder nicht? Selbst wenn man davon ausgeht, dass es „nur“ in 10 der 56 Operationen zu einer Nervenirritation bei Elektrostimulation kam, so ist dies doch ein erschreckend hoher Anteil, und es stellt sich die Frage nach der Ursache. Denkbar wären falsch positive Ergebnisse der Elektrostimulation, also eine Irritation des N. medianus, obwohl dieser außerhalb der Gefahrenzone lag. Um dies zu prüfen, hätte man entweder bei liegendem MANOS-CTR-System offen revidieren und die Lage des Instruments im Verhältnis zum N. medianus prüfen oder das Lageverhältnis mittels Ultraschall kontrollieren müssen. Die Darstellung des MANOS-Systems mittels Ultraschall ist problemlos möglich. Dies propagieren die Autoren als Pluspunkt des Systems, haben jedoch nie diesen Vorteil genutzt. Zumindest in den Fällen einer Irritation des N. medianus bei der Elektrostimulation hätte sich solch eine Überprüfung angeboten, stattdessen vertrauten die Autoren blind dem Instrument.

Mag sein, dass das blinde Vertrauen in das System daher rührt, dass 3 der 6 Autoren als Aktienbesitzer der vertreibenden Firma ein gewisses Interesse an der Verbreitung des Systems haben. Dies könnte auch die recht optimistische Einschätzung der Ergebnisse als „vielversprechend“ erklären. Auch wenn man den Autoren zugutehalten mag, dass bei 3 der 4 Patienten mit einem unbefriedigendem Ergebnis vielleicht die Indikation bei gleichzeitigem Vorliegen einer Zervikalstenose nicht optimal gewählt war, so ist eine inkomplette Spaltung des Retinaculum flexorum als Komplikation bei einer Gesamtsamtzahl von 56 Karpaltunnelspaltungen sehr kritisch zu bewerten. Gleiches gilt für den Umstand, dass sich bei 6 Patienten „unabsichtliche“ Hautverletzungen an Ein- und Austrittsstelle des Instrumentes fanden, auch wenn diese jeweils kleiner als 1 cm waren und folgenlos abheilten. Betroffen waren ältere Patienten mit Atrophie der Haut – wie wurde diese diagnostiziert? – und Patienten mit einem dicken Retinaculum flexorum, das mehrfache Passagen der Messerklinge bis zur kompletten Spaltung erforderte – wurde im Operationsbericht, der retrospektiv ausgewertet wurde, jeweils festgehalten, ob und ggf. wie oft eine mehrfache Passage der Messerklinge erforderlich war? Zwei Patienten erhielten eine orale Antibiose aufgrund einer Schwellung und Rötung, die sich daraufhin zurückbildeten. Ein weiterer Patient beklagte eine Schwellung, die nach 3 Monaten verschwand. Bei 1 Patienten kam es zum Schnappen des Zeige- und Mittelfingers, das ebenfalls verschwand. Ein Patient beklagte ein Taubheitsgefühl streckseitig am Daumen. Er lehnte eine Abklärung ab und war mit der Operation zufrieden. Das Pelzigkeitsgefühl war bei der Untersuchung nach 3 Monaten nicht mehr vorhanden. Der Leser möge selbst entscheiden, ob diese Ergebnisse den Satz „Despite caveats, we believe results show promise“ rechtfertigen.

Ich komme nicht umhin festzustellen, dass die Empfehlungen zum Schreiben eines wissenschaftlichen Artikels, wie sie auch im JHS-A mehrfach publiziert wurden, in der vorliegenden Arbeit nicht immer beachtet wurden. Zahlreiche der in der Rubrik „Ergebnisse“ präsentierten Daten, wie zum Beispiel die Zusammensetzung des Patientengutes, gehören in die Rubrik „Material und Methode“. Ebenso ist es unverständlich, dass erst im Ergebnisteil Zielkriterien der Untersuchung, wie das Vorliegen eines Arbeitsunfalles beschrieben werden. Auch wenn jedem Leser sofort klar ist, dass mit der in der Diskussion unvermittelt auftauchenden Abkürzung „TCL“ das „transverse carpal ligament“ gemeint ist, gehört es sich doch so, dass eine Abkürzung in einem wissenschaftlichen Artikel vor ihrer Verwendung erläutert wird.

Es wäre schön gewesen, wenn die Autoren den Nutzen der Elektrostimulation beim Einsatz des MANOS-CTR-Systems in einer prospektiv-randomisierten Studie im Vergleich mit der endoskopischen Karpaltunnelspaltung ohne die Möglichkeit der Elektrostimulation nachgewiesen hätten. Eine solche Studie, gut nach den Richtlinien für das Schreiben für wissenschaftliche Zeitschriften verfasst, wäre auch dem hohen Standard des JHS-A gerecht geworden. In der vorliegenden Form ist die Arbeit jedoch nichts anderes als eine schlechte Werbeaktion unter der Überschrift „wissenschaftlicher Artikel“ für das MANOS-System.

E-Mail: hael@handchirurgie.de


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