Diabetes aktuell 2012; 10(03): 142
DOI: 10.1055/s-0032-1315692
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Erhöhtes kardiovaskuläres Risiko vermeiden – Einfache Kontrolle des postprandialen Blutzuckerspiegels

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Publication Date:
11 June 2012 (online)

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Das Erkennen hoher Blutzuckeranstiege nach der Nahrungsaufnahme gewinnt zunehmend an Bedeutung. Erhöhte post­prandiale Blutzuckerwerte können bereits vor der Manifestation eines Typ-2-Dia­betes auftreten, und man weiß mittlerweile, dass sich dann das Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung drastisch erhöht. Die International Diabetes Federation (IDF) hat zur Verdeutlichung des Risikos durch eine postprandiale Hyperglykämie eigenständige Leitlinien zum Management postpran­dialer Blutzuckerwerte veröffentlicht. Im Interview mit Dr. Karin Kreuel äußert sich der niedergelassene Diabetologe Dr. Rolf Göbel zu diesem Thema.

Steckbrief San Luigi Gonzaga Diabetes-Studie ("Cavalot"-Studie):
Bei 505 Patienten mit Typ-2-Diabetes waren – im Zeitraum von 14 Jahren – 147 Todesfälle und 172 kardiovaskuläre Ereignisse registriert worden. Sowohl der HbA1c-Wert als auch der ppBZ-Wert erwiesen sich als prädiktiv für das Auftreten dieser Ereignisse.
(Cavalot F et al. Postprandial Blood Glucose Predicts Cardiovascular Events and All-Cause Mortality in Type 2 Diabetes in a 14-Year Follow-Up. Lessions from the San Luigi Gonzaga Diabetes Study. Diabetes Care 2011; 34: 2237–2243)

? Wie wichtig ist das Abfangen postprandialer Blutzuckerspitzen?

Göbel: Postprandiale Blutzuckerspitzen (ppBZ) sind mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert. Der wissenschaftliche Diskurs, ob hohe ppBZ-Werte als eigenständiger kardiovaskulärer Risikofaktor anzusehen sind, ist noch nicht entschieden. Letztlich steht indes nur bei Personen mit diagnostiziertem Diabetes eine prospektive Studie dazu noch aus. In prospektiven Studien, die sich mit der oralen Glukosetoleranz befassen, wie der DECODE-Studie, konnte ein linearer Zusammenhang zwischen der postprandialen Glukosebelastung und der Gesamt­sterblichkeit gezeigt werden. In jedem Fall gehen erhöhte ppBZ-Werte mit erhöhten Markern für oxidativen Stress und endothelialer Dysfunktion einher. Im Follow-up der San Luigi Gonzaga-Diabetesstudie (siehe Kasten) konnten Cavalot et al. nun zeigen, dass neben dem HbA1c-Wert auch der ppBZ-Wert eine prädiktive Aussage zu zukünftig auftretenden kardiovaskulären Ereignissen und zur Mortalität zulässt.

? Wie kommt es zu extremen Blutzuckerspitzen?

Göbel: Bei vielen Typ-2-Diabetikern ist die Magenentleerung beschleunigt, und es kommt zu einem sehr raschen Weitertransport der Kohlenhydrate. Normal­insulin ohne Spritz-Ess-Abstand subkutan gespritzt flutet oft zu langsam an, um Blutzuckeranstiege zu vermeiden. Da etwa 50 % des Blutzuckeranstiegs aus der hepatischen Glukosefreisetzung und -neogenese resultieren, gehen durch den verzögerten Stopp der hepatischen Glukosefreisetzung bei manchen Patienten die Blutzuckerspitzen extrem nach oben. Im Vergleich mit dem normalerweise aus der Bauchspeicheldrüse in die Pfortader sezernierten Insulin setzen die physiologischen Effekte – Glukagonsuppression, Stoppen der hepatischen Glukoseproduktion und Glukoseaufnahme in die Zellen – verzögert ein. Der Versuch, diese Mankos mit dem Einführen eines Spritz-Ess-Abstandes zu regulieren, kann die Nachteile nur teilweise ausgleichen.

? Welche Vorteile bietet hier ein Analoginsulin wie Insulin lispro?

Göbel: Durch die Molekülstruktur des Analoginsulins kommt es zu einer deutlich schnelleren Aufnahme bei subkutaner Gabe, die der Pharmakokinetik des Insulins beim Gesunden ähnlicher ist. Es besteht nicht mehr die Notwendigkeit, einen Spritz-Ess-Abstand von etwa 30 Minuten einzuhalten, der für eine ausreichende Kontrolle des ppBZ-Spiegels bei der Gabe von Normalinsulin notwendig ist. Außerdem werden Hypogly­kämien durch verzögerte Einnahme der Mahlzeit weniger wahrscheinlich. Auch die Korrektur von hohen postprandialen Blut­zuckerspitzen, die auftreten, wenn sich beispielsweise ein Patient mit der Kohlenhydratmenge oder der Insulindosis verschätzt hat, ist aufgrund der kürzeren Halbwertszeit des Insulin lispro mit weniger Überlappungsgefahr zur nächsten Insulininjek­tion möglich. Das gilt ebenso für die Blutzuckerkorrektur bei Zwischenmahlzeiten.

? Was bedeutet das Wegfallen des Spritz-Ess-Abstandes für Ihre Patienten?

Göbel: Ein großes Stück Lebensqualität und Flexibilität. Patienten möchten sich nicht andauernd mit ihrem Diabetes beschäftigen müssen. Sie möchten so normal wie möglich leben, das ist ja auch unser ärztliches Ziel: Patienten sollten trotz ihrer Erkrankung so viel Lebensqualität wie möglich haben.
Durch ein kurzwirksames Analoginsulin haben Patienten nicht nur den komfortablen Vorteil, nicht mehr vorausplanen zu müssen, sondern sie können bei unvorhersehbarer Verzögerung der Mahlzeit die Injektion direkt vor dem Essen ausführen. Das ist besonders wichtig, wenn nicht exakt feststeht, wie hoch der Kohlenhydratanteil wird, zum Beispiel bei einem Restaurantbesuch. Oder es kommt noch ein dringendes Telefonat dazwischen, bevor der Patient endlich zum Essen kommt. Sehr häufig wird die Insulininjektion auch einfach vergessen oder der Patient verschätzt sich beim Einhalten des Spritz-Ess-Abstands.
Die Möglichkeit, Insulin lispro auch noch direkt nach der Mahlzeit mit Erfolg spritzen zu können, ist auch für die immer größer werdende Zahl pflegebedürftiger Diabetiker ein wichtiger Punkt. Ein Beispiel: Einem Patienten mit vaskulärer ­Demenz wird vor der Mahlzeit Insulin gespritzt, er verweigert dann aber das Essen und Trinken völlig. Das Pflegepersonal wird eine Hypoglykämie feststellen und versuchen, dem Patienten wenigstens zum Trinken eines Saftes zu überreden. Wenn das nicht gelingt, muss im Extremfall ein Arzt hinzugezogen werden. Ein Analoginsulin bietet hier ­einen klaren Vorteil für eine Hausarztpraxis. Damit lässt sich so mancher Hausarztbesuch bzw. Besuch im Pflegeheim vermeiden.

! Hr. Dr. Göbel, vielen Dank für das Gespräch.