Rofo 2013; 185(10): 930-935
DOI: 10.1055/s-0032-1319766
Brennpunkt
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Bestallungen (Approbationen) jüdischer Ärzte erlöschen am 30. September 1938“ – Vor 75 Jahren entzog der NS-Gesetzgeber Ärztinnen und Ärzten die staatliche Berufszulassung*

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Publication Date:
30 September 2013 (online)

Vorwort der Gesellschaftspräsidenten

Im Jahr 2010 beauftragte die Deutsche Röntgengesellschaft e.V. (DRG) Frau Dr. Gabriele Moser, eine ausgewiesene Fachhistorikerin, mit der Aufarbeitung der Geschichte der Gesellschaft in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur. Die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie e.V. (DEGRO) trat im Hinblick auf die gemeinsame Vergangenheit von DRG und DEGRO diesem Projekt im Jahr 2012 bei.

Die weitreichenden Forschungen Mosers zeichnen den verbrecherischen Einsatz der Röntgenstrahlung im Dienste nationalsozialistischen Rassenwahns nach und dokumentieren wissenschaftliche Karrieren. Sie umfassen aber auch die oftmals schwierige Bergung von Biografien verfolgter und ermordeter Radiologinnen und Radiologen.

Die hier vorgelegte Dokumentation der 1938 ihrer ärztlichen Approbation beraubten und aus der DRG ausgeschlossenen jüdischen Kolleginnen und Kollegen bildet anlässlich des 75. Jahrestages dieses Datums den Auftakt für die Darstellung der Geschichte der DRG zwischen 1933 und 1945. Diese wird auf den kommenden Jahrestagungen der DRG und der DEGRO der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Für die Deutsche Röntgengesellschaft e.V.:
Prof. Dr. Norbert Hosten, Greifswald

Für die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie e.V.:
Prof. Dr. Michael Baumann, Dresden

1 Archivalien der DRG aus der NS-Zeit, anhand derer die Veränderungen des Mitgliederbestandes zuverlässig nachgeprüft werden könnten, existieren nicht. Es musste auf unterschiedliche Datenquellen, darunter jedoch auch zufällig aufgefundene Mitgliederverzeichnisse von 1936, 1938 und 1941, zurückgegriffen werden. Eine eventuelle Unvollständigkeit der Namensliste oder fehlerhafte und widersprüchliche Angaben zu einzelnen Personen (z.B. Hans Sielmann) ist trotz sorgfältiger Recherche nicht zu vermeiden. Korrigierende oder ergänzende Informationen sind daher sehr erwünscht. Die Pressestelle der DRG, 030/91607019, schneider@drg.de nimmt diese Informationen gerne entgegen.


2 Aus dem röntgenologisch/radiologischen Medizinbereich sind vorläufig nur 2 „Krankenbehandler“ namentlich bekannt: Dr. med. Karola Reitlinger in München und Dr. med. Emil Hirsch in Düsseldorf. Nach Auskunft von Dr. Rebecca Schwoch, Hamburg, gab es 1939 im gesamten Deutschen Reich für alle medizinischen Fachgebiete zusammen nur 285 „Krankenbehandler“.


3 Der Prozentanteil dieser gewaltsam zu Tode gebrachten an der Gesamtzahl der diskriminierten, vertriebenen und verfolgten strahlenheilkundlich oder -diagnostisch Tätigen lag bei rund 9,8%. Unter den im Ghetto/KZ Theresienstadt umgekommenen Menschen befindet sich der Krebs- und Strahlenforscher Prof. Dr. med. Richard Werner, der 1927 als Präsident der DRG fungiert hatte.


4 Diese Gedenkliste/Memorial File geht zurück auf die von J. M. Rohrbach u.a. anlässlich der Recherche über vertriebene Tübinger Ophthalmologen entwickelte Form [10].


5 In die Gesamtzahl der Stigmatisierten sind auch 5 Personen eingerechnet, die vor der Bestallungsentziehung am 30.9.1938 verstorben waren: Paul Krause (1934), Gustav Joseph, Karl Bacharach (1935), Otto Silberberg (1937) und Henri Hirsch (1938).


 
  • Literatur

  • 1 Grote Bestallungsentziehung der jüdischen Ärzte. Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Vom 25. Juli 1938. In: Deutsches Ärzteblatt 1938; 68 (32/33) 545-547 kommentierender Artikel von Heinrich Grote (ebd., S. 546-547, Zitat S. 546)
  • 2 Grenville JAS. Juden, „Nichtarier“ und „Deutsche Ärzte“. Die Anpassung der Ärzte im Dritten Reich. In: Büttner U (Hrsg.). Die Deutschen und die Judenverfolgung im Dritten Reich. Frankfurt/ Main: 2003: 228-246
  • 3 Jäckle R. Schicksale jüdischer und „staatsfeindlicher“ Ärztinnen und Ärzte nach 1933 in München. Dokumentation, vorgelegt zum 50. Jahrestag des „Erlöschens“ der Approbation vom 30.9.1938. (Hg. v. Liste Demokratischer Ärztinnen und Ärzte München). München: 1988
  • 4 Schwoch R (Hrsg.) Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch. Berlin: 2009
  • 5 Schwoch R, Hahn J. Anpassung und Ausschaltung. Die Berliner Kassenärztliche Vereinigung im Nationalsozialismus. Berlin: 2009
  • 6 Damskis LL. Zerrissene Biographien. Jüdische Ärzte zwischen nationalsozialistischer Verfolgung, Emigration und Wiedergutmachung. München: 2009
  • 7 Gruner W (Bearb.) Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945. Bd. 1: Deutsches Reich 1933-1937. München: 2008
  • 8 Weindling PJ. Medical Refugees in Britain and the Wider World, 1930-1960: Introduction. Social History of Medicine 2009; 22: 451-459
  • 9 Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland (1933-1945). http://www.bundesarchiv.de/recherche/gedenkbuch
  • 10 Rohrbach JM et al. Jüdische Augenärzte im Nationalsozialismus - eine Gedenkliste. Jewish Ophthalmologists During National Socialism - a Memorial File. Klinisches Monatsblatt Augenheilkunde 2011; 228: 70-83