Diabetes aktuell 2012; 10(04): 156-157
DOI: 10.1055/s-0032-1320118
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neue Leitlinie endlich da – Wie diagnostiziere ich heute den Gestationsdiabetes?

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Publication Date:
02 July 2012 (online)

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Auf der Diabetes-Messe in Münster erörterte Prof. Dr. Walter Klockenbusch, Leiter der Geburtshilfe am Universitätsklinikum Münster (UKM) und Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe mit dem Schwerpunkt "Spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin", in seinem Vortrag "Neue Leitlinie endlich da! Wie diagnostiziere ich heute den Gestationsdiabetes" Diagnose, Therapie und Nachsorge nach der Praxisleitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Im Auftrag von "Diabetes aktuell" sprach die Medizinjournalistin Susan Röse mit Prof. Klockenbusch.

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? Warum ist die neue Praxisleitline für den Praxisalltag so wichtig?

Klockenbusch: Um tatsächlich umzusetzen, dass alle Schwangeren mit Gestationsdiabetes (GDM) als solche erkannt werden und von einer Behandlung profitieren können, was auch für die Kinder eine wirksame Gesundheitsvorsorge von der Pränatalphase bis ins Erwachsenenalter darstellt.

? Was können Sie uns zur Diagnostik des GDM sagen, welche Tests eignen sich, welche nicht?

Klockenbusch: Zur Diagnostik dient der orale Glukosetoleranztest mit 75 g Glukose, dem ein Test mit 50 g vorgeschaltet werden kann. In Einzelfällen reicht auch ein Glukose-Nüchternwert. Alles andere, z. B. die Untersuchung der Harn-Glukose, ist untauglich.

? Was sind die Indikationen für den oGTT im 1. Trimenon, auf was muss geachtet werden, was ist besonders wichtig?

Klockenbusch: Bei Erstvorstellung soll eine Risikoanalyse mit der Frage erfolgen "Liegt ein bislang unerkannter Diabetes vor?" Daran muss bei familiärer Diabeteshäufung oder Fettleibigkeit gedacht werden. Wegweisend ist in solchen Fällen zunächst die Bestimmung eines Gelegenheits- oder Nüchternblutzuckers. Bei einem auffälligen Wert entscheidet eine Zweitmessung des Nüchternblutzuckers über das weitere Vorgehen.

? Welche weiteren Indikationen gibt es?

Klockenbusch: Die Frühdiagnostik ist auch bei Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck und verschiedenen Formen von Durchblutungsstörungen angezeigt und selbstverständlich bei allen Frauen, die in früheren Schwangerschaften hohe Zuckerwerte hatten oder sehr große Kinder geboren haben.

? Was ergibt sich aus dem GDM-Screening?

Klockenbusch: Meistens Entwarnung, in immerhin 5 % wird aber eine Zuckerstoffwechselstörung aufgedeckt, die jedoch meist durch Bewegung und Diät gut beherrschbar ist und nur eine Insulintherapie erfordert, wenn das nicht gelingt.

? Wie wichtig ist das ärztliche Erstgespräch nachdem die Diagnose GDM gestellt wurde und welche Elemente sollten unbedingt bedacht werden?

Klockenbusch: Einerseits ist eine klare Information über bestehende Risiken unerlässlich, auch um den Sinn einer besonderen Betreuung von Mutter und Kind zu verdeutlichen. Andererseits sollte man auf die guten Aussichten hinweisen, dass nämlich unter fachgerechter Behandlung ein weitgehend normaler Schwangerschaftsverlauf zu erwarten ist und allerbeste Chancen bestehen, dass Mutter und Kind nach der Geburt munter und wohlauf die Klinik verlassen.

? Wie sieht eine optimale Therapie bei GDM aus? Was ist mit Insulin und oralen Antidiabetika? Welchen Stellenwert haben die Ernährung und der Sport? Wie kann man eine positive Lebensstil-Modifikation erreichen?

Klockenbusch: Die Blutzuckerwerte sollten in einem Bereich zwischen 60 mg/dl nüchtern und maximal 140 mg/dl eine Stunde nach dem Essen liegen, damit es nicht zu einer vermehrten Insulinbildung beim Kind kommt. Wegen unklarer Langzeitfolgen wird von oralen Antidiabetika abgeraten. Insulin spielt eine wichtige Rolle, wenn durch Sport und Diät keine ausreichende Reduktion der Zuckerwerte erreicht werden kann oder wenn ein ausgeprägtes fetales Wachstum, insbesondere ein großer Bauchumfang, beobachtet wird. Lebensstilmodifikationen sind häufig nicht einfach umzusetzen – es hilft aber, wenn klar wird, dass davon direkt zwei Menschen profitieren und die Lebensperspektive des noch Ungeborenen sehr günstig geprägt werden kann.

? Wie wichtig sind die Nachsorge und die Betreuung Neugeborener diabetischer Mütter?

Klockenbusch: Die fachgerechte Betreuung der Neugeborenen ist für die kindliche Entwicklung sehr wichtig und in Deutschland in Form einer Leitlinie gut geregelt. Mit Blick auf die Mütter sind konsequente Nachsorge und Aufklärung wichtig, um alle Chancen zu nutzen, dass die Frau zukünftig mit Diabetesproblemen möglichst nichts zu tun hat.

? Was erfordert die Geburtshilfliche Betreuung bei GDM?

Klockenbusch: Ideal ist eine Betreuung unter einem Dach und aus einem Guss mit wachem Auge für typische eventuell heraufziehende Gefahren. Dazu dienen langjährige Erfahrungen in der Geburtshilfe inklusive Ultraschalldiagnostik genauso wie solche in der Stoffwechselführung bei Diabetikerinnen. Da müssen alle über den Tellerrand schauen und Hand in Hand arbeiten: Diabetesberaterinnen, Internisten mit geburtshilflicher Antenne und Geburtshelfer mit ausgeprägter internistischer Ader.

? Wie sieht die Nachsorge der Mutter aus?

Klockenbusch: Zum Ausschluss einer bleibenden Zuckerstoffwechselstörung sollte etwa 12 Wochen nach der Geburt ein oraler Glukosetoleranztest durchgeführt werden, der danach alle 2–3 Jahre wiederholt werden sollte. Lebensstilmodifikationen mit Bewegung und Gewichtsreduktion helfen enorm, Diabetesprobleme im weiteren Leben zu verhindern.

? Was ist bei der Betreuung bei manifestem Diabetes mellitus und Schwangerschaft zu beachten. Welche Ziele sind wichtig und welche Untersuchungen müssen nach Feststellung der Schwangerschaft durchgeführt werden?

Klockenbusch: Bei manifestem Diabetes besteht ein erhöhtes Risiko für kindliche Fehlbildungen, wobei dies ganz klar von der Blutzuckereinstellung in den allerersten Schwangerschaftswochen abhängt. Ultraschalluntersuchungen in der Schwangerschaft können bei unauffälligen Befunden zur Beruhigung beitragen. Entscheidend ist aber eine gute Blutzuckereinstellung bereits in der Planungsphase einer Schwangerschaft.

? Wie sieht die optimale Schwangerschaftsbetreuung aus, wie wichtig sind die Blutglukosemessungen, welche Anforderungen gibt es an Blutproben und Messqualität?

Klockenbusch: Während für die Diagnose des GDM nur venöses Plasma akzeptabel ist, erfolgt die Therapiekontrolle durch die Schwangere selbst über Blutzuckerselbstmessungen, deren Richtigkeit aber regelmäßig überprüft werden muss.

? Ist eine spezielle diabetologische Betreuung durch den Facharzt in einer Diabetesschwerpunkteinrichtung oder in einem auf Diabetes-Betreuung spezialisierten Perinatalzentrum notwendig?

Klockenbusch: Wir können die Diabetesrisiken ganz erheblich reduzieren, aber nur durch gute Zusammenarbeit von wirklichen Fachleuten und spezialisierten Zentren. Die damit verbundenen Möglichkeiten sind für das mütterliche und kindliche Wohlergehen auch langfristig von großer Bedeutung.

! Herr Prof. Dr. Klockenbusch, vielen Dank für das Gespräch.

Intensivierte Insulintherapie mit täglich ≥ 4 Injektionen
Täglich ≥ 6 BZ-Kontrollen
Monatliche HbA1c-Kontrolle
Ständige Anpassung der Insulindosierung
Ambulante Vorstellung alle 2 Wochen
Enge Zusammenarbeit mit dem Perinatalzentrum
Klinikeinweisung bei Komplikationen oder
unzureichender BZ-Einstellung

Ultraschalluntersuchungen alle 4,
in der Spätschwangerschaft alle 2 Wochen
Ab der 28. SSW CTG und Dopplersonografie
je nach individuellem Risiko
CTG ab 32./33. SSW 2 × pro Woche
ab 35./36. SSW 3 × pro Woche bis täglich

Entbindung: Überschreiten des ET vermeiden

Schwangerschaftsbetreuung bei manifestem Diabetes mellitus.

Untersuchung 24.–28. SSW
bei jeder Schwangeren

  1. Suchtest mit 50 g Glukose
    unabhängig von der Nahrungszufuhr
    falls Blutzucker nach 1 Stunde ≥ 140 mg/dl

  2. 75-g oGTT
    falls ≥ 1 Grenzwert erreicht/überschritten
    1 Wert: IGT, ≥ 2 Werte: GDM

Therapie: Diät, Bewegung, ggf. Insulin

GDM und IGT (Impaired Glucose Tolerance): vergleichbare kindliche Morbidität

GDM-Sreening.