Zusammenfassung
Theorien über die Entwicklung von Abhängigkeit von psychotropen Substanzen folgen
überwiegend einer individualzentrierten Perspektive, gleiches gilt für die Theorien
der Richtlinienverfahren PA, TP, VT und den hieraus abgeleiteten speziellen Suchttherapieverfahren.
Auch die ICD-10 als Diagnose- und damit als Definitionssystem repräsentiert diese
Perspektive, ebenso wie wissenschaftliche Aussagen und gesellschaftliche Statements
meinungsbildender Wissenschaftler (vgl. u. a. Petzold 1988, Reddemann u. Schäfer 2012).
Der einzelne Patient wird folglich in seinem „So-geworden-Sein“ als Ausdruck seiner
individuellen Lebensgeschichte verstanden. Daher ist der familiäre Kontext in der
Regel nicht als entscheidende Größe am Therapieprozess beteiligt. Angesichts eindrucksvoller
systemischer (vgl. von Sydow et al. 2010, S.13) und kontextuell-therapeutischer Erkenntnisse
(vgl. Simon u. Stierlin 1992, S. 198f., Pfitzer u. Hargrave 2005, S. 19f.) ist zu
fragen, inwieweit durch diese überwiegend individualzentrierte Akzentuierung in Theorie,
Diagnose und Therapie nicht entscheidende Wirkfaktoren verkannt bleiben, die die Entwicklung
von Sucht in der Aktualität und die Verbindung von Trauma im System der Generation
auf diesen Prozess der Entwicklung von Sucht neu erklären können. Im Folgenden werden
solche systemisch-kontextuellen und damit mehrgenerationalen Zusammenhänge und insbesondere
die Bedeutung von traumatischen Erfahrungen in den Generationen und deren Einfluss
auf die Entwicklung von Lebensentwürfen beschrieben, in denen sich Abhängigkeiten
entwickelt haben. Aus diesen Erkenntnissen werden Konsequenzen für die Therapie und
Praxis abgeleitet, die auch mit dem ICF (International Classification of Functioning,
Disability and Health) kompatibel sind.
Schlüsselwörter
Generationen - Drogenabhängigkeit - Systemische Therapie - Familientherapie - psychotrope
Substanzen - Geschichte - Genogramme
Literatur
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Prof. Dr. Ruthard Stachowske
ImFT – Privatrechtliches Institut für mehrgenerationale Forschung und Therapie
Heiligengeiststraße 41
21335 Lüneburg
Email: stachowske@imft.info