Suchttherapie 2012; 13(03): 107
DOI: 10.1055/s-0032-1321916
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Motivational Interviewing

T. Kuhlmann
,
G. Bischof
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
10. August 2012 (online)

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

fast 10 Jahre nach dem ersten Schwerpunktheft zu Motivational Interviewing (MI), zu Deutsch Motivierende Gesprächsführung, befasst sich das vorliegende Heft der Suchttherapie erneut mit dem Konzept und der aktuellen Weiterentwicklung von MI. Das MI zugrundeliegende Konzept ist ursprünglich von 2 Psychologen entwickelt worden: William Miller, emeritierter Professor an der University of Albuquerque/New Mexico, USA und Steven Rollnick, Professor an der University of Cardiff/Wales, GB.

Es ist seit den ersten Darstellungen aus dem Jahr 1983 erheblich weiterentwickelt, vielfach wissenschaftlich untersucht und in zahlreichen Arbeitsbereichen international praktisch erprobt worden. Anfänglich von der etablierten Suchthilfe skeptisch beäugt, ist MI nicht zuletzt dank seiner durch viele Studien belegten Wirksamkeit mittlerweile zu einer schulenübergreifenden Kernkompetenz u. a. in der Arbeit mit Suchterkrankungen geworden.

Das Basiskonzept und dessen Weiterentwicklung, die wissenschaftliche Methode zur Untersuchung dieses Ansatzes und Erfahrungen in der Versorgungspraxis in Deutschland sind die Themenbereiche, die wir Ihnen im vorliegenden Heft präsentieren wollen.

Kernthema des MI-Ansatzes sind Ambivalenz und Veränderungsbereitschaft. Ambivalenz ist normal, Menschen in Krisensituationen haben oft intensive und häufig vielfache Ambivalenzkonflikte, die den Kontakt mit dem Hilfesystem und das Bild von Suchtkranken in besonderer Weise prägen. Es ist ein Kernanliegen von MI, diese Ambivalenzkonflikte besprechbar zu machen. Durch empathischen, zieloffenen Umgang mit dem Betroffenen und zielgerichtetes differenziertes Reflektieren den verschiedenen Ambivalenzebenen den hilfesuchenden Menschen zu unterstützen, dass er seine Ambivalenzen akzeptiert und sich bewusst entscheidet, sein Verhalten konkret zu verändern.

Entscheidend sind dabei die empathische Arbeitsbeziehung und die grundsätzliche Zieloffenheit im Gesprächskontakt, die nicht mit Beliebigkeit gleichzusetzen ist. Hilfe erfordert Kontakt zum Klienten, die Angebote erfordern deren Annahme durch den Hilfebedürftigen, anderenfalls ist sie wirkungslos. Motivierung zur Veränderungen des eigenen Lebensstils geht nicht ohne den Betroffenen und bedarf des Respekts vor der Autonomie des Klienten.

Darum geht es in MI – auf gleicher Augenhöhe den Klienten zu unterstützen, sich aktiv für Veränderung zur Klärung des grundlegenden Ambivalenzkonflikts zu entscheiden.

Joachim Körkel skizziert in seinem Beitrag die Entwicklung des MI-Konzepts von den ersten Publikationen Anfang der 80er Jahre bis zur in Kürze erwarteten dritten und vollständig überarbeiteten Auflage der Publikation des MI-Konzepts. Dabei geht er ausführlich auf die zugrundeliegende Philosophie, konkrete praktische Erfahrungen, Stand der wissenschaftlichen Untersuchung und künftige Herausforderungen ein.

Bill Miller, der Vater des MI-Konzeptes, legt im Interview sein Verständnis und seine Philosophie bezüglich des Motivational Interviewing, der zugrundeliegenden Haltung, der praktischen Weiterentwicklung und den Herausforderungen dar. Dieses Interview erscheint ausnahmsweise im Original, also auf Englisch, da nach unserer Einschätzung die Klarheit und Prägnanz seiner Antworten in einer Übersetzung gleichen Umfangs kaum wiederzugeben wären.

Wolfgang Hannöver beschreibt in seinem Beitrag das Codierungssystem, also den Kriterienkatalog, der in wissenschaftlichen Projekten angewandt wird, um die Qualität und Wirksamkeit von MI in praktischer Anwendung zu erfassen und zu beurteilen: Also das konkrete Verhalten und indirekt die Haltung der Therapeuten.

Während die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen zu MI auf Projekten im angloamerikanischen Raum basieren, wird im Beitrag zu Kontrolle im selbstbestimmten Substanzkonsum (KISS) ein Forschungsprojekt aus der Versorgungspraxis in Deutschland vorgestellt, dem eine aufmerksam differenzierte Wahrnehmung und Diskussion im Hilfesystem zu wünschen ist. Dabei geht es um Unterstützung Drogenabhängiger hin zu risikoärmeren Konsummustern, also konkret um niederschwellige Hilfe zur Schadensminderung.

Veränderungsbereitschaft erkennen und fördern, Veränderungsbedarf aufzugreifen und dabei auch von den Klienten lernen, darum geht es insbesondere im Schwerpunkt und im weiteren Sinne in allen Beiträgen dieses Heftes. Neuere Entwicklungen können auch in der vom Motivational Interviewing Network of Trainers herausgegebenen Online-Zeitschrift MITRIP (www.mitrip.org) verfolgt werden.

Wir hoffen Ihre Neugierde geweckt und mit den vorliegenden Beiträgen Ihr Verständnis für Widerstand und Ambivalenzkonflikte zu fördern und Ihnen damit praxistaugliche Anregungen geben zu können.

Es grüßen Sie herzlich

Thomas Kuhlmann, Gallus Bischof