Balint Journal 2012; 13(04): 123-124
DOI: 10.1055/s-0032-1323688
Tagungsbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Burnout bei Höchstleistungsberufen in der Gesundheitsversorgung“

Burnout in High-Performance-Professions in Health Care
H.-P. Edlhaimb
1   Österreichische Balint-Gesellschaft
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Publication Date:
21 December 2012 (online)

8. Fachtagung der Österreichischen Balint-Gesellschaft

14. April 2012 in der Salzburger Ärztekammer

Bei Michael Balint steht – im Unterschied zu Freud, der eine triebtheoretisch begründete Psychologie des Individuums konzipiert hatte – die Beziehung des Individuums zur Umwelt (soziale Umwelt) im Mittelpunkt seiner Theorie. Zum ersten die dialektische Beziehungstypologie von Philobatismus und Oknophilie die eine Frühform und einen Spezialfall der Objektbeziehungstheorie darstellt. Zum zweiten die theoretische Modellvorstellung einer strukturellen Differenzierung von „Liebe“, nämlich von der „primären Liebe“ die ein anthropologisch-intersubjektives Theorem impliziert, welches den Menschen als Mitmenschen in seiner ökologischen und sozialen Umwelt sieht. Intersubjektive Modelle sind hochkomplexe Denk- und Handlungssysteme, die sich in der Medizin, der Psychologie und Psychotherapie weitgehend durchgesetzt haben.

Um sich in diesen chaotisch-mannigfaltigen Systemen – wie dem Zusammenleben von Menschen in dieser Welt – orientieren und bewegen zu können, braucht es einige wenige strukturelle Fixpunkte, also z. B. ein umfassendes und valides anthropologisches Konzept und ein taugliches, erkenntnistheoretisch fundiertes Navigationssystem.

In unserer pluralistischen und vielfach vernetzten Welt, in der uns bio-psycho-sozial enorme Informationsmengen zur Verfügung stehen, macht sich immer mehr Orientierungslosigkeit und damit verbunden Überforderung und Stress von Individuen und sozialen Netzen bemerkbar.

Kein Wunder, dass vor diesem Hintergrund der gesellschaftspolitischen Entwicklung Erschöpfung und Burnout immer stärker ins – auch medial vermittelte – Zentrum unseres Bewusstseins rücken. Jüngste Statistiken und aktuelle Studien zeigen, dass mind. 500 000 Österreicher und Österreicherinnen an Burnout leiden, rechnet man die Dunkelziffer ein, so schätzen Experten die Zahl auf ca. 800 000. Eine Million Menschen in unserem Land gelten als burnout – gefährdet.

Es wundert nicht, wenn die Umfragen von Peter Hofmann und Erich Hotter aus Graz die erschreckenden Ergebnisse zeigen, dass knapp 54% der Befragten Ärztinnen und Ärzte sich in unterschiedlichen Phasen eines ernst zu nehmenden Burnouts befinden.

Burnout als Stress-induzierte, Arbeits-bezogene Überlastungserkrankung zeigt sich in einer eklatanten Einschränkung des Entscheidungsspielraums und einer zunehmenden Perspektivenlosigkeit im beruflichen Alltag mit dem bekannten Fortschreiten in immer höhere Stadien des Ausgebrannt-Seins.

Wir stellten im Rahmen der Tagung 2 Fragen an prominente Vertreter der „Balint-Gruppen“ einerseits und der „Interaktionsbezogene Fallarbeit“ (IFA), der jüngeren und verhaltenstherapeutisch orientierten Schwester der Balint-Gruppen-Arbeit, andererseits.

  • wie verstehen und behandeln wir Ärztinnen und Ärzte die uns anvertrauten kranken Menschen mit Burn-Out-Problematik?

  • und wie gehen wir Medizinerinnen und Mediziner als Vertreter eines sozialen Hochleistungsberufes mit den eigenen Ressourcen und der Gefahr der Erschöpfung um?

Dr. Rudolf J. Knickenberg, Chefarzt in der Rehabilitation an der Psychosomatische Klinik in Bad Neustadt a.d. Saale erläuterte das Thema anhand des Risikoprofils von arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmustern in Bezug auf Berufsengagement, Widerstandsfähigkeit und Lebensgefühl bei Ärztinnen und Ärzten. Knickenberg thematisiert die Bedeutsamkeit der Arbeit, den beruflichen Ehrgeiz, die Verausgabungsbereitschaft und das Perfektionsstreben im ärztlichen Berufskontext. Er stellt die Frage danach, ob wir uns in reflektiv-exzentrischer Position aus der emotionalen Betroffenheit in Arzt-Patient-Beziehungen distanzieren können und Zustände der inneren Ruhe und Ausgeglichenheit erleben können, wie weit unsere Ressourcen in Bezug auf offensive Problembewältigung reichen, oder ob sich das Gefühl der Resignation einschleicht. Vor allem gilt es zu klären, wie weit unsere eigene soziale Unterstützung in Familie und beruflichen Peer-Gruppen vorhanden ist.

Knickenberg beschreibt 4 Grundtypen von Menschen zeigen dabei sehr unterschiedliche Profile. Wenn die „Gesundheitstypen“ (Typ G) und die „Schontypen“ (Typ S) vor und nach der täglichen Arbeit eher ausgeglichen sind und hohe Resilienz zeigen, so sind „Überforderungstypen“ (Typ A) und „Burnout-Typen“ (Typ B) hoch gefährdet, sich in der Arbeit auszubrennen.

In der IFA-Arbeit werden gegen arbeitsbezogene gesundheitsschädigende Entwicklung bei Ärztinnen und Ärzten verhaltenstherapeutische Skills eingesetzt wie:

Es ist notwendig, sich selbst in Achtsamkeit zu begegnen, sich selbst im Hier und Jetzt gewahr zu werden. Fokussiert wird es in der IFA im gemeinsamen Fluss der achtsam zuhörenden Gruppe, zunächst ohne Wertung und Bedauern zu akzeptieren, was in der gegenwärtigen Situation der Arzt-Patient-Beziehung betroffen macht und auch negativ empfundener Emotionen und Gedanken zuzulassen.

Unter professioneller Führung und mit der Metareflexion des eigenen Handelns kann eine „work-life-balance“, eine Verbindung zwischen Muße und Schaffensfreude hergestellt werden.

Ao.Univ.-Prof. Prim. Dr. Herwig Scholz, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin und Balint-Gruppenleiter aus Villach/ Kärnten sieht die Verbindung zwischen dem phasenhaften Ablauf der Burnout-Prozesse und dem Abhängigkeits- und Suchtverhalten von Kolleginnen und Kollegen, die zum Workaholik-Typ neigen. Er beleuchtet die Querverbindungen zwischen Burnout und Depressionen und den Selbstwertkonzepten der Betroffenen. „Being a physician does not provide any specific immunity against depression“ meinte M. Gautam im “Handbook of Physician Health” (AMA 2000).

Als wichtige Zielbereiche für Balint-Arbeit, Supervision und Selbsterfahrung nennt Scholz Verletzungen und Therapeutenängste zu verhindern, eigene blinde Flecken zu erkennen (bevor es zu spät ist), starre Rollenhaltungen erst gar nicht aufkommen lassen. Jedem Teilnehmer einer Balint-Gruppe soll Einblick in das eigene Selbstkonzept und evtl. Fehlentwicklungen ermöglicht werden. Im geschützten Rahmen der Balint-Gruppe soll auch Gelegenheit gegeben werden, sich selbst Fragen zu stellen wie:

  • Wie steht es mit dem eigenen Selbstwert gerade jetzt?

  • Bin ich auf dem Weg zur Überanpassung, Selbstentwertung?

  • Wie funktionieren Abgrenzungen?

  • Helfersyndrom? Leistungsangebote?

  • Perfektionismus?

  • Flucht nach vorne? Überaktivität?

Die Balint-Gruppe bietet die Gelegenheit, eigenen Ressourcen zu finden und zu verstärken. Ebenso bietet sie einen Ort, sich nicht nur „ernst zu nehmen“, entlastende Selbstironie und Humor zu pflegen. In der Balint-Gruppe darf auch – mit Feingefühl und Respekt vor der Person – gelacht werden, denn die Gelotologie-Forschung zeigt, dass dabei Stresshormone reduziert werden, sich die Muskulatur entspannt, Endorphine ausgeschüttet werden, Immunglobuline und Zytokine vermehrt und Selbstheilungskräfte aktiviert werden, somit eine Burn-Out-Prophylaxe betrieben wird.

In beiden Vorträgen konnten die Möglichkeiten der Orientierung, der Perspektivenerweiterung und der Burn-Out-Präven­tion mit Balint-Arbeit und mit Interaktionsbezogener Fallarbeit eindrucksvoll dargestellt werden.