Lege artis - Das Magazin zur ärztlichen Weiterbildung 2012; 2(4): 236-243
DOI: 10.1055/s-0032-1325309
Fachwissen
Titelthema: Risikoschwangerschaften
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Risikoschwangerschaften – Möglichkeiten der Pränataldiagnostik

Elke Bäz
,
Beatrix Brinckwirth
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
24. September 2012 (online)

Zusammenfassung

Nicht alle Schwangerschaften verlaufen komplikationslos. Mithilfe der Pränataldiagnostik lassen sich manche Gefahren jedoch frühzeitig erkennen: solche für Gesundheit und Leben des Kindes ebenso wie maternale Risiken für Morbidität und (seltene) Mortalität – darunter schwere Präeklampsie, Blutungskomplikationen oder Gerinnungsstörungen. Durch das rechtzeitige Einleiten medizinischer Maßnahmen kann man die mütterliche und kindliche Morbidität vermindern.

In der Pränataldiagnostik muss unterschieden werden zwischen der Basisuntersuchung per Ultraschall im Rahmen der gesetzlichen Mutterschaftsvorsorge und der differenzierten Diagnostik, ggfs. inklusive invasiver Verfahren. Für alle Untersuchungen gilt aber: Die psychischen Belastungen und die Konsequenzen eines auffälligen Befundes sind für die Eltern gravierend. Pränataldiagnostiker müssendaher besonders geschult sein sowie interdisziplinäre Information und Beratung vermitteln.

Kernaussagen

  • Etwa 4 % aller Kinder haben angeborene Erkrankungen. Außerhalb spezialisierter Pränatalambulanzen können diese bei den frauenärztlichen Ultraschalluntersuchungen nur teilweise erkannt werden.

  • Die häufigsten Fehlbildungen betreffen das Herz, die Nieren und ableitenden Harnwege sowie die Chromosomen.

  • Ist eine kindliche Fehlbildung / Erkrankung vor der Geburt bekannt, kann dies die Versorgung und den Lebensstart eines Neugeborenen deutlich verbessern.

  • Vor PND sollte beraten werden über:

    • Ziel, Risiko und Grenzen der Untersuchungen – darunter auch pränatal nicht erfassbare Störungen sowie die Sicherheit des Ergebnisses

    • Art und Schweregrad möglicher bzw. vermuteter Störungen

    • Optionen bei pathologischem Befund

    • psychisches und ethisches Konfliktpotenzial

    • Alternativen zur weiterführenden Diagnostik und Möglichkeiten einer weitergehenden psychosozialen Beratung sowie Inanspruchnahme von Hilfsangeboten

  • Mithilfe der differenzierten Ultraschalldiagnostik kann man

    • die Versorgungssituation des Ungeborenen bei vorbestehenden oder schwangerschaftsbedingten Erkrankungen der Mutter beurteilen,

    • eine Gefährdung des Feten rechtzeitig erkennen und

    • ggf. durch eine vorzeitige, rechtzeitige Entbindung oder eine intrauterine Therapie Schaden abwenden.

  • Ist eine kindliche Erkrankung oder Fehlbildung zu erwarten, ermöglichen einfühlsame fachübergreifende Beratungen und Begleitangebote den werdenden Eltern, sich auf die Geburt ihres kranken Kindes vorzubereiten.

  • Das pränatale Wissen um Erkrankungen, die nicht mit dem Leben vereinbar sind (z. B. Anenzephalus, Trisomie 13, 18),

    • ermöglicht den Eltern das Abschiednehmen vom Kind und eine nachgeburtliche Sterbebegleitung,

    • vermeidet unnötige kinderärztliche Eingriffe und damit eine traumatisierende Trennung der Mutter von ihrem Kind,

    • vermeidet unnötige operative geburtshilfliche Eingriffe (z.B. Kaiserschnitt) und erhöht die Chancen für eine weitere Schwangerschaft.

  • Ein Schwangerschaftsabbruch ist bei entsprechender Entscheidung der Schwangeren gesetzlich erlaubt, wenn

    • eine schwere Behinderung des Kindes zu erwarten ist,

    • dadurch die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren besteht und

    • diese Gefahr nicht auf andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.

  • Kein Arzt kann jedoch zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs gezwungen werden.

  • Auch ein unauffälliges Untersuchungsergebnis garantiert kein gesundes Kind.

  • Maternales Alter als alleinige Indikation für ein Screening auf Chromosomenfehler ist inakzeptabel, da die Falschpositivrate bei 25 % liegt.

  • Nur interdisziplinäre Zusammenarbeit verbessert das neonatale und mütterliche Outcome.

Ergänzendes Material

 
  • Literatur

  • 1 Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA). Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung („Mutterschafts-Richtlinien“) in der Fassung vom 10.12.1985, zuletzt geändert am 19.5.2011, veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 124, S. 2894 in Kraft getreten am 19.8.2011. Im Internet: http://www.g-ba.de/downloads/62-492-591/Mu-RL_2011-12-15.pdf
  • 2 Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA). Vorläufiger Bericht zum Beratungsverfahren gemäß § 135 Abs. 1 SGB V i.V.m. § 196 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Ultraschallscreening in der Schwangerschaft Stand: 16.9.2010 Beschluss noch nicht in Kraft.
  • 3 Snijders RJ, Noble P, Sebire N et al. UK multicentre project on assessment of risk of trisomy 21 by maternal age and fetal nuchal-translucency thickness at 10–14 weeks of gestation. Fetal Medicine Foundation First Trimester Screening Group. Lancet 1998; 352: 343-346
  • 4 Nicolaides KH. A model for a new pyramid of prenatal care based on the 11 to 13 weeks' assessment. Prenat Diagn 2011; 31: 3-6
  • 5 Baez E et al. Ersttrimester-Sonografie. Geburtsh Frauenheilk (Refresher) 2002; 62
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  • 10 Rott HD. EFSUMB-Statement über klinische Sicherheit der Ultraschalldiagnostik. Ultraschall Med 1998; 19: 192-192