Der Klinikarzt 2012; 41(9): 387
DOI: 10.1055/s-0032-1329577
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Jung und allein, sprach- und hilflos?

Winfried Hardinghaus
Further Information

Publication History

Publication Date:
08 October 2012 (online)

Neulich habe ich es noch erlebt: Der Ehemann sitzt am Bett seiner 35-jährigen, an einem weit fortgeschrittenen Ovarial-Krebs sterbenden Frau. Im Krankenzimmer spielen die 6- und 8-jährigen Söhne mit einem Papierknöllchen Fußball – scheinbar teilnahmslos. Ein anderes auf der Palliativstation erfahrenes Beispiel: Eine 35-jährige Mutter bittet auf dem Sterbebett, die 11- und 14-jährigen Töchter über ihren nahenden Tod aufzuklären. Sie hat nicht mehr die Kraft dazu. Als ich damit beginne, erfahre ich von den Töchtern, dass auch der Vater vor einem Jahr an Krebs gestorben ist.

Mal ehrlich, wissen wir, wie wir mit unserer eigenen Trauer umgehen werden, wenn demnächst und überraschend ein enger Angehöriger versterben sollte?

Was für uns Erwachsene, selbst wenn wir als Ärzte/Ärztinnen durch unsere beruflichen Konstellationen in gewisser Weise vorbereitet scheinen, schon schwer genug ist, wird für Kinder und Jugendliche gerade zur Belastungsprobe.

Einen Raum für Trauer bietet z. B. das Modell Trauerland in Bremen, das wir in unserer Osnabrücker Region durch dankenswerte Kooperation als SPES VIVA Trauerland – Zentrum für trauernde Kinder, Jugendliche und deren Familien in einer dafür umgebauten alten Kaplanei übernommen haben.

Kinder bekümmern sich ganz anders als Erwachsene, werden von diesen oft gar nicht verstanden. Umso wichtiger: Sie müssen ihre Trauer zeigen können, sie darstellen und ausleben, sonst sind Folgen wie Aggressionen oder Verschlossenheit vorprogrammiert. Auch Schulschwierigkeiten und psychosomatische Störungen können ja direkte Auswirkungen von nicht bewältigter Trauer sein.

„Reifere“ Kinder oder Jugendliche wollen ihre Familie und Hinterbliebenen oft nicht noch mehr belasten. Nicht selten übernehmen sie sogar Aufgaben, die sie in ihrem Alter gar nicht bewältigen können. Für ihre eigene Trauer bleibt oft kein Raum.

Ins Trauerland kommen die Kinder und Jugendlichen im Allgemeinen einmal in der Woche oder auch vierzehntägig. Hier können sie sich aussprechen, einzeln oder in Gruppen. In unterschiedlich konzipierten Räumen kann gespielt, gemalt, gebastelt oder einfach nur getobt werden. Ein Stilleraum bietet Rückzugsmöglichkeiten. Der Angehörigenraum bietet eine Anlaufstelle für die Eltern(-teile). Die Leiterinnen sind fachlich besonders qualifiziert und werden unterstützt von Ehrenamtlichen. Eine Therapie bei Störungen mit Krankheitswert ist hier allerdings nicht möglich, sie wird aber gegebenenfalls vermittelt.

Diese Oasen für trauernde Kinder, Jugendliche und ihre Familien sind rein spendenfinanziert.

Aber es reicht mir schon, wenn wir uns mal eine Minute nehmen und über das Thema nachdenken. Jeden von uns und damit auch die Kinder kann es treffen – ob im Beruf oder im eigenen Alltag... (http://www.trauerland-os.de).