Der Klinikarzt 2012; 41(11): 507
DOI: 10.1055/s-0032-1331831
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Akutes Koronarsyndrom – neue Leitlinien und ihre Umsetzung

Christian Hamm
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Publication Date:
29 November 2012 (online)

Das Akute Koronarsyndrom (ACS) umfasst das weite Spektrum von der instabilen Angina ohne Biomarkererhöhung, über den nicht-ST-Steckenhebungsinfarkt und den ST-Streckenhebungsinfarkt bis hin zum plötzlichen Herztod. In den letzten Jahren ist zwar ein positiver Trend zu beobachten, dass die Sterblichkeit beim ACS rückläufig ist, dennoch wird die Koronarerkrankung auch in weiterer Zukunft an oberster Stelle der Todesursachenstatistik in den westlichen Industriestaaten stehen bleiben. Die Ursachen der Umkehr dieses über Jahrzehnte beängstigenden Trends liegt sicher nicht unerheblich in einer besseren Versorgung, wie bessere medikamentöse und invasive Maßnahmen. Gerade in den letzten Jahren ist hier auf verschiedenen Sektoren ein Durchbruch in der Therapie erfolgt, wie z. B. die primäre invasive Katheterbehandlung beim akuten Myokardinfarkt, bessere Plättchenhemmer, hochdosierte Statintherapie – um nur die herausragenden Meilensteine zu nennen. Im Vergleich mit Europa nehmen wir aber regelmäßig nur einen Platz im Mittelfeld bei der Sterblichkeit des ACS ein, obwohl wir mit am meisten für Gesundheit ausgeben und z. B. die höchste Dichte an Herzkathetermessplätzen haben. Das bedeutet, dass wir durchaus noch viel Spielraum haben, mit den vorhandenen Ressourcen unsere Versorgung zu verbessern. Aber wir werden auch erkennen müssen, dass an einigen Stellen eine Überversorgung den Patienten gefährden kann, besonders wenn das zu falschen Anreizen im System führt.

Die Versorgung sollte sich heutzutage streng nach den evidenzbasierten Leitlinien richten, da das erwiesenermaßen die Sterblichkeit senkt. Dies ist auch der beste Weg, Argumenten einer Über- oder Unterversorgung zu begegnen, denn evidenzbasierte Medizin ist kosteneffektiv und sicher für den Patienten. Die Schwierigkeit entsteht nur, wenn wir uns nicht einig sind in der Interpretation der Evidenz. Als Ärzte sitzen wir da zu häufig zwischen den Stühlen – auf der einen Seite die Kostenträger mit ihren eigenen Analysen, die erst mal alles infrage stellen, was initial mehr kostet, und auf der anderen Seite die Pharmaindustrie, die mögliche Fortschritte aus verständlichem Interesse umgesetzt sehen möchte. Deshalb haben die von kritisch distanzierten Ärzten geschriebenen Leitlinien einen hohen Stellenwert. Sie sind die Leitplanken zu unser Orientierung, ohne dass wir im begründeten Einzelfall uns sklavisch danach richten müssen. Dazu ist das Prinzip der „Therapiefreiheit“ auch ein juristisch höchstrichterlich anerkanntes Rechtsgut in Deutschland. Das gibt zwar auch Heilpraktikern ihr Recht zu praktizieren, erlaubt uns aber individuell entscheiden zu können, wenn das zu begründen ist.

Die maßgeblichen kardiologischen Leitlinien zum ACS wurden kürzlich von der European Society of Cardiology neu herausgegeben und sind auch für uns verbindlich, da die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) keine eigenen Leitlinien mehr verfasst, sondern bei den großen übergeordneten Themen die ESC-Leitlinien nur „endorsed“ und mit einem Kommentar versieht. Die Originaltexte der Leitlinien sind kostenfrei von der Homepage der DGK herunterzuladen (http://www.dgk.org). Dieses Themenheft soll Ihnen zusammenfassen, wie die heute zeitgemäße und leitliniengerechte Diagnostik und Behandlung des ACS aussehen sollte. Die Artikel konzentrieren sich besonders auf die Felder, die in letzter Zeit viel Unruhe erzeugt haben, wie die Einführung der hochsensitiven Troponin-Tests und der neuen stärkeren Plättchenhemmer (Prasugrel, Ticagrelor). Sie sollen hier die praxisrelevante Information finden, um leitliniengerecht arbeiten zu können und die neuen Möglichkeiten zum Vorteil Ihrer Patienten voll auszuschöpfen.