Dtsch Med Wochenschr 2013; 138(10): 465
DOI: 10.1055/s-0032-1332942
Editorial
Arbeitsmedizin
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Arbeitsmedizin in Deutschland: zentrale Säule der Gesundheitsförderung und Prävention

Occupational medicine in Germany: backbone of health promotion and prevention
H. Drexler
1   Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg
,
S. Letzel
2   Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Universitätsmedizin der Universität Mainz
,
T. Kraus
3   Institut für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin, Universitätsklinikum Aachen
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Publication Date:
26 February 2013 (online)

Die arbeitsmedizinische Prävention und Gesundheitsförderung hat in den letzten Jahrzehnten wesentlich dazu beigetragen, dass die Arbeit sicherer geworden ist, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zurückgegangen sind und die Gestaltung von Arbeit und Arbeitsabläufen optimiert wurden. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass arbeitsmedizinische Prävention und Gesundheitsförderung primär kein Kostenfaktor sind, sondern zum Unternehmensgewinn beitragen. Über den betrieblichen Bereich hinaus können durch die bestehenden Strukturen von Betriebsärzten und Betriebsärztinnen allgemeine Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung angeboten werden. Der 115.  Deutsche Ärztetag 2012 hat daher gefordert, Arbeitsmedizin und betriebsärztliche Versorgung zu einer zentralen Säule der Gesundheitsvorsorge auszubauen.

Demographischer Wandel, Fachkräftemangel, Globalisierung der Arbeitswelt, eine zunehmende Verdichtung der Arbeitsanforderungen sowie die Einführung neuer Technologien werden zu einer großen Herausforderung für die Gesellschaft allgemein und auch für die Arbeitswelt. Die Arbeitsmedizin kann durch ihre Präventionskonzepte dazu beitragen, dass die Veränderungen nicht zu Lasten der Gesundheit der Beschäftigten gehen. Um die Herausforderungen meistern zu können, muss sich das Fach jedoch weiter entwickeln. Zunehmend müssen multikausale Belastungen bzw. Einflussfaktoren berücksichtigt werden. Die Grundlage des arbeitsmedizinischen Handelns darf sich nicht ausschließlich an starren und unflexiblen Präventionsstrategien orientieren, sondern muss auf die individuellen Gefährdungen und Risiken ausgerichtet sein. Eine Gefährdungs- bzw. Risikobeurteilung sollte daher Grundlage aller weiteren arbeitsmedizinischen Maßnahmen sein. Ein ganzheitlicher Ansatz mit der Berücksichtigung beruflicher und außerberuflicher Belastungs- und Beanspruchungsfaktoren wird für die betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention zunehmend an Bedeutung gewinnen. Nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten sind arbeitsmedizinische Maßnahmen kontinuierlich auf ihre Effizienz und Effektivität zu überprüfen. Ggf. sind Präventionsmaßnahmen zu überdenken und weiterzuentwickeln. Die arbeitsmedizinische Prävention darf dabei nicht nur auf Vorsorgeuntersuchungen ausgerichtet sein, sondern muss insbesondere auch eine fachlich fundierte Beratung der Arbeitsnehmer und Arbeitgeber zu Maßnahmen der Verhältnis- und Verhaltensprävention beinhalten. Im Hinblick auf eine immer älter werdende Belegschaft werden Fragen zur Einsetzbarkeit chronisch Kranker und der beruflichen Wiedereingliederung nach längeren Krankheitsphasen eine zentrale Bedeutung für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz gewinnen.

Die Arbeitsmedizin wird jedoch nur dann den Erfordernissen einer sich wandelnden Arbeitswelt und Belegschaften gerecht werden können, wenn die entsprechenden wissenschaftlichen Grundlagen durch eine unabhängige Forschung erarbeitet werden und entsprechender Nachwuchs für das Fach generiert werden kann. Diesem Ziel dienen die Jahrestagungen der DGAUM, die den wissenschaftlichen Austausch ermöglichen und den Nachwuchs zur wissenschaftlichen Arbeit motivieren. Die von ca. 800–1000 Teilnehmern besuchte Jahrestagungen der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) sind seit Jahrzehnten die bedeutendste wissenschaftliche Tagung der Arbeitsmedizin im deutschsprachigen Raum. Hier werden aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre Umsetzung in den betrieblichen Alltag dargestellt und mit Vertretern aus Wissenschaft und Praxis sowie Politik und gesetzlichen Unfallversicherung diskutiert. Damit ist die Jahrestagung der DGAUM die zentrale Veranstaltung des Faches für alle, die Gesundheitsförderung und Prävention im beruflichen Kontext im Focus haben.

Unter Berücksichtigung der Globalisierung der Arbeitswelt haben wir für die Jahrestagung der DGAUM vom 13.–16.  März 2013 in Bregenz u. a. die Arbeitsmedizin in Europa als wichtiges Hauptthema der wissenschaftlichen Veranstaltung gewählt und richten die Tagung gemeinsam mit den Fachgesellschaften der Nachbarländer Österreich (ÖGA) und der Schweiz (SGARM) aus. Mit Muskel- und Skeletterkrankungen im beruflichen Kontext wurde ein weiteres Hauptthema gewählt, das im europäischen Gesundheitssystem durch die dadurch bedingten hohen Arbeitsunfähigkeitszeiten eine besondere Bedeutung hat. Weitere Themen der Tagung sind u. a. Gefahrstoffe und Biomonitoring, Arbeitsphysiologie, Arbeitspsychologie, biologische Arbeitsstoffe, Versorgungsforschung, berufsbedingte Haut- und Atemwegserkrankungen, Krebserkrankungen sowie molekulare Untersuchungsverfahren.

Wir würden uns sehr freuen, wenn die Beiträge in diesem Schwerpunktheft mit einem Einblick in unterschiedliche arbeitsmedizinische Themenfelder und ihre Schnittstellen mit der Inneren Medizin Ihr Interesse finden und wir Sie auch auf der wissenschaftlichen Jahrestagung in Bregenz begrüßen dürfen.