B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2013; 29(3): 103
DOI: 10.1055/s-0033-1345451
Editorial
Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Editorial

Klaus Schüle
Further Information

Publication History

Publication Date:
17 June 2013 (online)

Zoom Image

Liebe Leserinnen und Leser,

„Zwischen Wahn und Sinn“ titelte der „Kölner Stadtanzeiger“ sehr trefflich seinen Beitrag zur Tagung der „Gesellschaft für Bildung und Wissen“, die sich am 13. April zum Thema „Irrwege von Bologna“ in der Bonner Universität versammelte. Dass sich hier die Bologna-Kritiker getroffen hatten, war wohl schon aus dem Thema auszumachen, reflektierte Kerstin Meier, die Autorin des Artikels.

Dabei geht die Kritik quer durch alle Lager von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Letztere soll der angebliche Haupttreiber des Bologna-Prozesses gewesen sein, weil in anderen europäischen Ländern die Hochschulabsolventen um ca. 2 Jahre früher auf den Arbeitsmarkt kämen und damit noch flexibler (weil weniger kritisch?) einsetzbar wären.

Der Bologna-Prozess hatte die 3 Hauptziele:

  1. Schaffung eines einheitlichen europäischen Bildungsraumes

  2. Förderung der Mobilität der Studenten

  3. bessere Vorbereitung auf das Berufsleben (Employability) und internationale Wettbewerbsfähigkeit

Diese Ziele sollten mit einer Reihe – auch lähmender – administrativer Maßnahmen erreicht werden, wie der Schaffung eines inzwischen viel kritisierten und rechtlich immer noch auf wackeligen Beinen stehenden Akkreditierungsrates und den von ihm zugelassenen Akkreditierungsagenturen. Damit wollte man vergleichbare Verfahren mit gemeinsamen europäischen Standards haben.

Zugegeben: Es ist nicht leicht, sich objektiv über Bologna zu informieren. Hier die Befürworter, an vorderster Stelle das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das Bologna als „europäisches Erfolgsmodell“ hochjubelt. Dort die Kritiker, an seiner Spitze der Vorsitzende des Deutschen Hochschulverbandes (DHV). Die bisherigen Zahlen, die zu den 3 oben genannten Zielen geliefert werden, sind deprimierend und zu jenen des BMBF teilweise sogar widersprechend. Selbst die Zahlen aus der Wirtschaft sind widersprüchlich. Einerseits wird von einer guten Akzeptanz der neuen Bachelor(BA)-Absolventen gesprochen, zum anderen meldet der „Aktionsrat Bildung“ – „ein politisch unabhängiges Gremium“ der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw) – in seinem aktuellen Gutachten: „Qualitätssicherung an Hochschulen: von der Akkreditierung zur Auditierung“, dass die Wirtschaft gar nicht begeistert sei von den Absolventen. Zudem ist noch nicht einmal die Hälfte (!) der 14 000 neuen Studiengänge akkreditiert. Der ganze Aufwand sei wenig effizient und schaffe bisher keine bessere Qualität. Der Aktionsrat macht deshalb auch einen konstruktiven Vorschlag, nachdem sich die Akkreditierungs- zu Auditierungsagenturen weiterentwickeln und somit die Qualitätssicherung an die Hochschulen zurückgegeben werden solle (www.aktionsrat-bildung.de/fileadmin/Dokumente/Gutachten Qualitätssicherung an Hochschulen.pdf).

Aus eigener Erfahrung kann ich, der auf beiden Seiten der Akkreditierung saß, feststellen, dass die Vielfalt der neuen Abschlüsse eher eine Nivellierung als eine Steigerung der Qualität bringt. Die Mobilität der Studenten hat nicht zugenommen. Die Arbeitgeber sind total verunsichert, weil sie, trotz eines „Diploma Supplement“ (Beiblatt zum Zeugnis, auf dem die Inhalte der studierten Module aufgelistet sind), nicht mehr sicher sind, was hinter den Abschlüssen wirklich steckt. Das trifft vor allem die BA-Absolventen und führt dazu, dass statt der ursprünglich vorgesehenen 30 % nun 70 % der Studenten noch ihren Master (MA) direkt und nicht erst nach einigen Jahren Praxiserfahrung draufsetzen wollen. Und dazu gibt es zurzeit noch viel zu wenige MA-Studienplätze. Um diesem Mangel abzuhelfen, werden immer mehr, häufig semesterweise befristete Lehraufträge statt voller Stellen vergeben, was auch nicht gerade zu einer Qualitätsverbesserung führt. Mehr dazu in meinem Übersichtsartikel zu den Gesundheitsberufen (S. 117).

Tröstlich ist vielleicht, dass sich auch die Kritiker auf ihrer Bonner Tagung einig waren, dass es nun, nach 10 Jahren, wohl kein schnelles Zurück mehr gebe. Aber nach Julian Nida Rümelin gebe es durchaus noch Spielräume, um die Fehler im System zu beheben: „Wir müssen den Geist zurück in die Flasche bekommen.“

In diesem Sinne,

Ihr

Klaus Schüle