physiopraxis 2013; 11(05): 51
DOI: 10.1055/s-0033-1348080
physiospektrum
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Patienten duzen - vertraulich oder distanzlos?

Mario Schmidt

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Publication Date:
22 May 2013 (online)

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„ Die Grenze vom ‚Sie‘ zum ‚Du‘ ist bei der ersten Berührung überschritten.“

PRO Ich bin ein geborener Du-Sager. Für mich ist das Duzen in der Physiotherapie unabdinglich. Das „Du“ steht für Sympathie, Nähe und Vertrauen, das „Sie“ wirkt auf mich hingegen steif, distanziert und vor allem wenig vertrauensvoll. Das passt nicht zur Physiotherapie. Denn wenn sich ein Patient in die Hände eines Therapeuten begibt, geht er ein vertrauensvolles und äußerst intimes Verhältnis ein. Er möchte sich gut aufgehoben und mit seinem Problem verstanden fühlen. Das, was er seinem Therapeuten anvertraut, erzählt er sonst niemandem - nicht mal seinem Arzt oder Friseur. Vielleicht seinem besten Freund. Aber Gespräche unter Freunden werden auch nicht mit „Sie“ geführt. Zumal die Grenze vom „Sie“ zum „Du“ ohnehin bei der ersten Berührung überschritten ist.

Die Verbundenheit zum Patienten und das äußerst vertrauensvolle Verhältnis zueinander möchte ich mit einem höflichen „Du“ unterstreichen. Gepaart mit einem netten Lächeln und einer professionellen Behandlung ist das für mich der richtige Weg zu einer effektiven und erfolgreichen Therapie.

Der Knigge besagt zwar: „Jede volljährige Person hat [...] ein Recht darauf, mit ‚Sie‘ angesprochen zu werden. Dies ist die Regel, das ‚Du‘ demnach die Ausnahme.“ Doch meiner Meinung nach ist Knigge längst überholt worden - von einer lockeren Social-Media- Kommunikation à la Facebook, Twitter und Co.

Mir als Verfechter der Du-Sager gefällt es auf jeden Fall sehr gut, wenn ich von Patienten weiterempfohlen werde mit den Worten: „Geh doch mal zu Mario.“ Das klingt in meinen Ohren deutlich besser als „Geh doch mal zu Herrn Schmidt“.

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„ Das ‚Du‘ ist im beruflichen Umfeld ein No-Go.“

KONTRA Bei dieser Frage ist die innere Haltung entscheidend: Wo und wie will man sich positionieren? Welchen Eindruck möchte man bei seinen Patienten erwecken? Einen freundschaftlichlegeren oder einen professionell-distanzierten? Für mich ist die Antwort klar: Heranwachsende und Erwachsene spreche ich mit „Sie“ an und frage sie nach „Ihrem“ Befinden. Ein „Du“ im beruflichen Umfeld empfinde ich - besonders als Therapeut - bei fremden Menschen als distanzlos. Für mich ist es schlicht ein No-Go.

Wir verbringen in unserem Beruf sehr viel Zeit mit und an einem Patienten. Wir hören uns die Leidens- und Lebensgeschichte an und kommen Patienten auch körperlich mitunter sehr nahe. Das „Sie“ ist für mich die vermeintlich letzte Grenze zwischen Patient und Therapeut. Diese Grenze bietet mir Schutz: Sie schützt mich vor Schicksalen, die mir ohnehin nahegehen, die ich aber abends leichter in der Praxis lassen kann, wenn ich mich mit einem „Bis zum nächsten Mal, machen Sie es gut“ verabschiede. Das „Sie“ schützt mich auch vor peinlichen Situationen. Denn die Vorstellung, ein Patient lehnt meinen kumpelhaften Du-Vorschlag ab, ist mir sehr unangenehm.

Ein „Du“ mag auch so manchem Patienten suggerieren, man sei befreundet. Das wird auf einer eigentlich rein beruflichen Ebene schnell problematisch, zum Beispiel wenn Patienten irgendwann klar wird, dass der Therapeut ihre freundschaftlichen Gefühle nicht teilt. Zumal es einen Therapeuten ganz schön auslaugt, wenn er am Tag zehn vermeintliche Bekannte behandelt. Daher gehe ich auf Nummer sicher, sage „Sie“, „Herr“ und „Frau“, wahre eine professionelle Distanz zu meinen Patienten und kann so den Praxisalltag nach Feierabend um einiges leichter in der Praxis lassen.

→ Wir suchen Autoren für das Thema „Kassenzulassung behalten - ja oder nein“. Haben Sie Argumente dafür oder dagegen, dann senden Sie diese bis zum 26. Mai 2013 an kathrin.bauer@thieme.de. Die beiden besten „Bewerbungen“ erhalten den Zuschlag und jeweils 40 Euro Honorar.