Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2013; 48(07/08): 437
DOI: 10.1055/s-0033-1352487
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hydroxyethylstärke: Stellungnahme der Präsidenten der DGAI und des BDA sowie der Präsidentin der DAAF

Christian Werner
,
Götz Geldner
,
Thea Koch
Further Information

Publication History

Publication Date:
08 August 2013 (online)

Seit Jahren existiert eine kontroverse Diskussion zum Stellenwert von Hydroxyethylstärke-Lösungen (HES-Lösungen) in der Intensivmedizin [1] [2]. Publikationen multizentrischer Studien der jüngeren Vergangenheit (VISEP, CRYSTMAS, 6S, CHEST) haben zu einer Konkretisierung der Bewertung dieser Medikamentengruppe geführt [3] [4] [5] [6]. So hat im März 2013 die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) auf Antrag des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Risikobewertungsverfahren zur grundlegenden Überprüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses HES-haltiger Infusionslösungen eingeleitet [7]. Im Rahmen des Risikobewertungsverfahrens kam der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) in seiner Juni-Sitzung zu dem Schluss, dass der Nutzen HES-haltiger Infusionslösungen die Risiken nicht länger überwiegt, und empfahl daher ein Ruhen der entsprechenden Zulassungen [8]. Das europäische Risikobewertungsverfahren ist diesbezüglich allerdings noch nicht abgeschlossen und weiterführende Betrachtungen können noch einige Monate in Anspruch nehmen [9].

Zwischenzeitig erfolgte eine Stellungnahme der „Faculty of Intensive Care Medicine“, des „Royal College of Anaesthetists“, der „Intensive Care Society“ und des “College of Emergency Medicine”, welche die Bewertung des PRAC unterstützt und den primären Einsatz von Kristalloiden empfiehlt sowie bei Verwendung von Kolloiden den Einsatz von Gelatine oder Humanalbumin nahelegt [10].

Mitglieder des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) diskutierten in einem Treffen mit den Verantwortlichen des BfArM am 27.06.2013 die aktuelle Evidenzlage und differenzierten dabei sowohl zwischen den verschiedenen Präparaten als auch den unterschiedlichen Einsatzgebieten. Die Vertreter des BfArM stellten den Analyseprozess dar und leiteten die o. g. Schlussfolgerungen her. Die Vertreter der DGAI sehen ebenfalls die Voraussetzungen erfüllt, nach denen die Verwendung von HES-Lösungen mit einem mittleren Molekulargewicht von 200 kDa (HES 200/0,5 und HES 200/0,62) aufgrund des potenziellen Risikos von Nierenfunktionsstörungen für alle Indikationen auszusetzen sei [3] [11]. HES-Lösungen mit einem mittleren Molekulargewicht von 130 kDa (HES 130/0,4 und HES 130/0,42) sollten bis zum Vorliegen der abschließenden Risikobewertung in der intensivmedizinischen Therapie vorsorglich ebenfalls nicht zur Anwendung kommen.

Für den perioperativen Bereich wurde durch die DGAI auf das Fehlen effektiver Alternativsubstanzen mit Wirkung auf das intravasale Volumen hingewiesen. Die Verwendung von Gelatine geht mit einem geringeren Volumeneffekt bei erhöhtem Anaphylaxie-Risiko (im Vergleich zu HES) einher. Ebenso ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Humanalbumin für die perioperative Volumensubstitution nicht eindeutig belegt. Das BfArM argumentierte hierzu, dass die Evidenzlage für günstige Effekte von HES im perioperativen Behandlungsfeld fehle und, basierend auf der Betrachtungsweise eines „class effects“, insofern eine generelle Suspendierung über das gesamte bisherige Indikationsspektrum wahrzunehmen sei.

Bereits 2012 hat die DGAI unter Moderation der AWMF eine aus Mitgliederbeiträgen eigenfinanzierte S3-Leitlinie zur Volumenersatztherapie in der perioperativen Medizin und Intensivmedizin initiiert, deren Ergebnisse Ende 2013 erwartet werden. Bis zum Vorliegen dieser Ergebnisse empfehlen die Unterzeichner vorsorglich, den Einsatz von HES in jedem Einzelfall kritisch abzuwägen und auf Patienten mit akut vitalbedrohlichen, anderweitig nicht beherrschbaren Blut- und Volumenverlusten zu beschränken.

Herausgeber

G. Geldner, Ludwigsburg

T. Hachenberg, Magdeburg

W. Koppert, Hannover

C. Krier, Stuttgart

G. Marx, Aachen

N. Roewer, Würzburg

J. Scholz, Kiel

C. Spies, Berlin

H. Van Aken, Münster

H. Wulf, Marburg

K. Zacharowski, Frankfurt/Main

Experten-Panel

B. Bein, Kiel

E. Biermann, Nürnberg

J. Biscoping, Karlsruhe

B. Böttiger, Köln

M. Bucher, Halle

H. Bürkle, Freiburg

B. Dirk s, Ulm

V. von Dossow, München

L. Eberhart, Marburg

U. Ebmeyer, Magdeburg

M. Fischer, Göppingen

W. Gogarten, München

J. Graf, Frankfurt/Main

S. Grond, Detmold

U. Kaisers, Leipzig

C. Kill, Marburg

U. Klein, Nordhausen

S. Kozek-Langenecker, Wien

P. Kranke, Würzburg

L. Lampl, Ulm

J. Martin, Göppingen

A. Meißner, Soest

C. Nau, Erlangen

J. Pfeff erkorn, Stuttgart

P. Rosenberger, Tübingen

M. Schäfer, Berlin

T. Schnider, St. Gallen

T. Schürholz, Aachen

U. Schwemmer, Neumarkt

T. Standl, Solingen

F. Stüber, Bern

R. Sümpelmann, Hannover

M. Tramèr, Genf

K. Ulsenheimer, München

T. Volk, Homburg/Saar

A. Walther, Stuttgart

F. Wappler, Köln

E. Weis, Nürnberg

Organschaften

Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin

Österreichische Gesellschaft für Anaesthesiologie, Reanimation und Intensivmedizin

AINS indexiert in

Medline, Embase, Scopus Science Citation Index Expanded

Verlag

http://www.thieme.de/ains

http://www.thieme-connect.de/ejournals

Das Literaturverzeichnis zum Editorial finden Sie im Internet unter „http://www.thieme-connect.de/ains“ beim Editorial unter „Zusatzmaterial“.

Ergänzendes Material