PPH 2013; 19(05): 240-241
DOI: 10.1055/s-0033-1356771
Szene
Larses lyrische Lebensberatung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wie träume ich?

Lars Ruppel
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Publication Date:
24 September 2013 (online)

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(Foto: Sven Bachmann_pixelshaping)

Mal angenommen, es gäbe ein deutsches Pendant zum Glückskeks, vielleicht eine Glücksfrikadelle mit eingebackenem Zettelchen. Der beliebteste Sinnspruch der Deutschen in ihren Glücksfrikadellen wäre sicherlich: Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum. Ich weiß noch, dass 85 Prozent meines Jahrgangs diesen Satz als ihr Lebensmotto in ihrem Steckbrief in der Abiturientenzeitung angaben. Ich finde diesen Satz höchst fragwürdig.

Ich träume mein Leben gerne. Den Kopf an das vibrierende Zugfenster gepresst, lasse ich die Gedanken schweifen und fange an zu träumen. In der Schlange stehend im Supermarkt, schlafe ich mit offenen Augen und beginne zu fantasieren. Träume sind unterhaltsam und inspirierend. Sie sind ein Kontrast zu dem mit Realität prall gefüllten, Alltag, ein Rückzugspunkt und ein 24-Stunden-Kino in einem. Und nur, weil man sich ein anderes Leben erträumt, muss man nicht unbedingt unzufrieden mit dem „echten“ Leben sein. Ein Traumbild von sich selbst hält einer eingehenden Prüfung oftmals nicht stand, und letztlich erfährt man, dass man zum Beispiel nicht unbedingt als Surflehrer auf Hawaii leben möchte, sondern nur mal wieder Urlaub braucht.

Würde ich den Satz beim Wort nehmen und einen häufig wiederkehrenden Traum leben, müsste ich zum Beispiel während eines Waldspaziergangs im Clownskostüm zur Bundeskanzlerin sagen, dass sie leider nicht mit zum Kamelreiten nach Chemnitz fahren darf. Solche Dinge träume ich regelmäßig und hoffe doch sehr, sie nie in die Tat umsetzen zu müssen.

Schlimm ist es, wenn man gar keine Träume hat. Fantasielosigkeit und erhöhter Fernsehkonsum sind die Hauptsymptome von einer Überdosis Realität, sogar Kinder leiden immer häufiger unter Traummangel. Die Behandlung des Patienten mit Gedichten ist erfolgsversprechend. In „Larses lyrischer Lebensberatung“ erfahren Sie, welche Gedichte traumfördernd wirken und wie man sie anwendet.

Beginnen Sie mit einem leicht verwirrenden Gedicht, das ihre Fantasie herausfordert, ohne sie zu überfordern. Lesen Sie der zu therapierenden Person oder sich selbst das Gedicht „Berliner Klopsgeschichte“ laut vor.

Berliner Klopsgeschichte

Ick sitze hier und esse Klops

uff eenmal kloppt’s.

Ick staune, kieke, wundre mir,

uff eenmal jeht se uff, die Tier!

Nanu, denk’ ick, ick denk’: Nanu,

jetzt jeht se uff, erst war se zu!

Und ick jeh’ raus und kieke,

u nd wer steht draußen? ... Icke.

Verfasser unbekannt

Sollten Sie beim ersten Lesen Kopfschmerzen verspüren, warten Sie ein paar Stunden bis zur nächsten Anwendung. Erfahrene Vortragende dürfen beim Essen am Tisch dieses Gedicht zur Überraschung aller Anwesenden frei rezitieren und darstellen. Sobald Sie oder Ihre Zuhörer das Gedicht ohne Nebenwirkungen genießen können, steigern Sie die Dosis nach eigenem Ermessen.

Auch die erste Strophe des Gedichts „Dunkel war‘s“ wirkt in hohem Maße fantasiefördernd. Lassen Sie Ihren Zuhörern genug Zeit, um die einzelnen Bilder zu verarbeiten. Je unrealistischer die Texte, desto langsamer müssen Sie lesen, damit sich die traumfördernde Wirkung entfalten kann.

Dunkel war‘s, der Mond schien helle

Dunkel war‘s, der Mond schien helle,

grün war die beschneite Flur,

als ein Wagen blitzeschnelle,

langsam um die Ecke fuhr.

Verfasser unbekannt

Den Erfolg der Gedichte dokumentieren Sie am besten durch ein Traumtagebuch oder mit Gesprächen über Ihre Träume. Schreiben Sie Ihre eigenen Gedichte über Ihre Träume und lesen Sie sie vor. Sie werden merken, dass man aus einigen Träumen viel lernen kann. Andere hingegen sind einfach nur witzig.

Sollten die beiden oben genannten Gedichte nicht anschlagen, versuchen Sie es mit den dadaistischen Gedichten von Hugo Ball oder Ernst Jandl. Ihre Zuhörer werden sich wundern.

Aber ich treffe in meinem Alltag oft Menschen, die sich gar nicht mehr wundern können oder wollen. Wie schade wäre es, wenn wir fantastische Dinge nur noch im Traum erleben würden. Es ist Zeit, mit dem Träumen zu beginnen.

Lesen Sie das nächste Mal: Wie spiele ich richtig?

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Wir wünschen viel Hörvergnügen!