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DOI: 10.1055/s-0033-1358049
Ethische Aspekte zahnärztlicher Tätigkeit
Wie löse ich Fälle mit klinischem Konfliktpotenzial?Publication History
Publication Date:
21 November 2014 (online)
Einleitung
Auf die Lösung von Fällen mit fachlichem und/oder wirtschaftlichem Klärungsbedarf sind Zahnärzte in der Regel gut vorbereitet [1]. Auch das Fortbildungsangebot in medizinrechtlichen Fragen ist vergleichsweise gut. Schwieriger wird es dagegen bei klinischen Fällen, bei denen ein ethisches Dilemma zu lösen ist – hier fehlt es nach wie vor an systematischen Schulungsangeboten für (angehende) Zahnärzte [1].
Dabei besteht ein deutlicher Bedarf: 2010 publizierte Wottrich die Ergebnisse einer Fragebogenstudie, an der 183 als Vorbereitungsassistenten tätige Zahnärzte teilnahmen. Mehr als die Hälfte (50,8 %) der Zahnärzte gab an, regelmäßig mit einem ethischen Konflikt konfrontiert zu sein: 13,1 % erlebten derartige Konflikte „eher monatlich“, 24 % „eher wöchentlich“ und 13,7 % sogar „eher täglich“. Nur 1,6 % der Befragten hatten nach eigenem Bekunden im beruflichen Kontext noch keinen ethischen Konflikt erlebt. Die Autorin gelangt zu dem Ergebnis, „dass das Lehrangebot nicht ausreichend ist, um die Studierenden ausreichend auf die professionellen Herausforderungen in den Bereichen Ethik und Recht in der Zahnmedizin vorzubereiten“ (Abb. [1]) [2].
Was ist Ethik?
Vor diesem Hintergrund verfolgt der vorliegende Beitrag das Ziel, angehenden und praktizierenden Zahnärzten Orientierungswissen und Hilfestellungen zu vermitteln, die eine eigenständige und kompetente Lösung ethisch heikler zahnärztlicher Fälle erlauben [1]. Dabei soll der Beschäftigung mit ethischen Fragen zunächst eine Begriffsbestimmung vorausgehen. Was, so wäre also einleitend zu fragen, verstehen wir eigentlich unter Ethik?
Definition
Ethik ist definiert als die wissenschaftliche Beschäftigung mit Moral bzw. mit moralischen Fragen. In den medizinischen Disziplinen kommt der sog. klinischen Ethik besondere Bedeutung zu. Sie beschäftigt sich u. a. mit konflikthaften („dilemmahaften“) ethischen Fällen. Das Ziel der betreffenden Ethiker ist es dementsprechend, in derartigen Fallkonstellationen unter Anwendung ethischer Prinzipien zu verantwortlichen Entscheidungen zu gelangen.
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Entscheidungswege
Grundsätzlich gibt es 5 – mehr oder weniger professionelle – Wege, auf denen man als (Zahn)arzt in einem ethisch problematischen klinischen Fall zu einer Entscheidung gelangen kann [1].
Akzidentelle Entscheidungsfindung
Man trifft eine zufällige Entscheidung oder man schiebt diese so lange auf, bis sich durch die Faktizität der Ereignisse eine „natürliche Lösung“ ergeben hat. In diesen Fällen wird streng genommen keine genuine Entscheidung getroffen – eine Vorgehensweise, die aus ethischer Sicht am wenigsten zufriedenstellen kann.
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Intuitive Entscheidungsfindung
Man entscheidet in Dilemmafällen nach dem „Bauchgefühl“, vertraut also auf die eigene Intuition.
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Konventionelle Entscheidungsfindung
Man entscheidet auf der Grundlage von Traditionen oder Konventionen, d. h. man stellt die Frage, wie man das Problem früher gelöst hat oder wie ähnliche Fälle „gemeinhin“ gehandhabt werden.
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Konsultative Entscheidungsfindung
Man delegiert die Entscheidung an einen älteren und/oder erfahreneren Kollegen (Abb. [2]) oder (vermeintlichen) Experten; dieser erteilt einen Rat, der dann die Entscheidungsgrundlage liefert.
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Prinzipien- oder wertebasierte Entscheidungsfindung
Man entscheidet selbstverantwortlich auf der Grundlage ethischer Prinzipien bzw. Werte.
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akzidentelle Entscheidungsfindung
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intuitive Entscheidungsfindung
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konventionelle Entscheidungsfindung
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konsultative Entscheidungsfindung
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Prinzipien- oder wertebasierte Entscheidungsfindung
Die 4 ersten Entscheidungsverfahren sind allesamt – mehr oder weniger – unbefriedigend, weil hierbei kein Reflexionsprozess des verantwortlichen Zahnarztes, keine persönliche, an ethischen Kriterien orientierte Auseinandersetzung und demnach auch keine persönliche Entscheidungsfindung erfolgen, sondern die Entscheidung schlichtweg delegiert wird – sei es an den Zufall, an die Tradition oder an eine andere Person – oder eben unreflektiert „aus dem Bauch heraus“ getroffen wird.
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Professioneller Anspruch
Modernen professionellen Ansprüchen genügt nur der 5. Weg – also die Entscheidung auf der Grundlage einer fundierten ethischen Analyse des betreffenden klinischen Falls. Dieser Weg scheint zunächst mühsamer als die übrigen Vorgehensweisen, hinterlässt aber beim Behandler schlussendlich auch das Gefühl, nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt zu haben.
Voraussetzung ist, dass der betreffende Zahnarzt Fälle mit ethischem Konfliktpotenzial von fachlich oder rechtlich herausfordernden Fällen unterscheiden kann, weiß, welche ethischen Kriterien man in welcher Weise auf den konkreten Fall anwendet und hinreichend über die geeigneten Rahmenbedingungen klinisch-ethischer Fallanalysen informiert ist. Alle 3 Erfordernisse bzw. Aspekte sind im Wesentlichen eine Frage der Erfahrung und der Achtsamkeit, wie im Folgenden ausgeführt werden soll.
Merke: Professionelle Entscheidungen in ethisch heiklen klinischen Fällen sind immer wertebasiert.
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Kennzeichen eines Falls mit ethischem Klärungsbedarf
Viele Zahnärzte reagieren unsicher, wenn sie gefragt werden, was einen Patientenfall mit „echtem“ ethischem Klärungsbedarf ausmacht bzw. wann es sich „nur“ um einen sehr komplexen oder „verzwickten“ Fall handelt. Tatsächlich fällt diese Unterscheidung bei fehlender Erfahrung durchaus nicht leicht. Im Wesentlichen lassen sich komplexe klinische Fälle in mehrere Typen unterteilen [1]:
Behandlungstechnisch herausfordernde Fälle
Häufig handelt es sich um behandlungstechnisch herausfordernde Fälle, d. h. um Behandlungssituationen, bei denen der Erfolg unsicher ist, weil die orale Ausgangssituation als besonders ungünstig und/oder die fachlich-manuelle Anforderung an den Zahnarzt als außerordentlich hoch angesehen werden müssen.
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Mehrere verschiedene gleichwertige Behandlungsoptionen
Bisweilen finden sich auch Fälle, bei denen entweder mehrere verschiedene (gleichwertige) Behandlungsoptionen infrage kommen und eine schwierige fachliche Abwägung stattfinden muss oder aber keine einzige Behandlungsoption ernsthaft infrage kommt – auch in diesen Konstellationen wird gelegentlich irrtümlicherweise der Ruf nach der Ethik laut, insbesondere dann, wenn die Behandlungsoptionen mit unterschiedlichen Kosten verbunden sind oder wenn eine bestimmte, in fachlicher Hinsicht vorzugswürdige Option aus finanziellen Gründen nicht umsetzbar ist (Abb. [3]).
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Fragen der Gewährleistung oder der Einwilligungsfähigkeit
Gelegentlich geht es auch um vorrangig rechtliche Fragen, so z. B. um Fragen der Gewährleistung oder der Einwilligungsfähigkeit bzw. um ein fragliches Betreuungsverhältnis bei nicht einwilligungsfähigen Patienten – auch forensische Fragen werden immer wieder als ethische Fragen (fehl)interpretiert [1].
Cave: Die Unterscheidung zwischen fachlich anspruchsvollen und ethisch heiklen klinischen Fällen ist nicht immer leicht zu treffen.
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Behandlungstechnisch herausfordernde Fallkonstellationen
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Fälle, die eine fachliche Entscheidungsnot aufwerfen
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Fälle mit rechtlichem bzw. forensischem Klärungsbedarf
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Mischformen
Natürlich sind klinische Fälle nicht immer so klar abzugrenzen, wie dies in der blauen Infobox unterstellt wird. In der Praxis gibt es Mischformen zwischen den 3 vorgenannten prototypischen Fallkonstellationen; zudem kann es vorkommen, dass zur beschriebenen Kernproblematik ethische Fragestellungen hinzutreten.
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Genuiner ethischer Konflikt
Schließlich gibt es Fälle, die einen genuinen, d. h. echten ethischen Konflikt beinhalten. Woran erkennt man aber nun einen solchen Casus? Die Antwort ist vergleichsweise einfach [1]. In derartigen Fällen findet sich eine Entscheidungssituation, in der mindestens 2 Handlungsoptionen geboten wären, diese jedoch zueinander in einem Widerspruch stehen. Anders ausgedrückt: von einem klassischen ethischen Konflikt oder Dilemma spricht man dann, wenn (mindestens) 2 Handlungsoptionen verwirklicht werden sollten, diese beiden Optionen sich jedoch ausschließen, und wenn ein Verantwortungsträger (z. B. ein Zahnarzt) vor die schwierige Entscheidung gestellt ist, eine Option auf Kosten der anderen zu wählen. Es besteht somit eine „Konkurrenz des Guten“ [3].
Merke: Bei einem klassischen ethischen Konflikt sind Zahnärzte vor die Entscheidung gestellt, sich für eine von (mindestens) 2 gebotenen Handlungsoptionen zu entscheiden.
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mindestens 2 Optionen wären ethisch geboten
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nur eine der Optionen kann realisiert werden da die Optionen einander ausschließen
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es gibt einen Entscheidungsträger (Zahnarzt), der in der Verantwortung steht, eine der Optionen (zulasten der anderen) zu wählen
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Literatur
- 1 Groß D. Ethik in der Zahnmedizin: Ein praxisorientiertes Lehrbuch mit 20 kommentierten klinischen Fällen. Berlin: Quintessenz; 2012
- 2 Wottrich S. Ethik und Recht im Studium der Zahnmedizin und im beruflichen Alltag. Hannover: Diss. med. dent.; 2010
- 3 Kliemt H. Ethische Konflikte im Gesundheitswesen. Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2006; 7 (Suppl. 01) 27-48
- 4 Groß D, Wolfart S, Schäfer G. Neue Fortbildungsreihe: Klinische Ethik in der Zahnheilkunde. Ethik für die Praxis. Zahnärztliche Mitteilungen 2011; 101 (12A) 32-34
- 5 Quante M, Vieth A. Welche Prinzipien braucht die Medizinethik? Zum Ansatz von Beauchamp und Childress. In: Düwell M, Steigleder K, Hrsg. Bioethik. Eine Einführung. Frankfurt a. M.: Campus; 2003: 136-151
- 6 Gommel M. Ethische Konflikte in der medizinischen Ausbildung. In: Hick C, Hrsg. Klinische Ethik. Heidelberg: Springer; 2007: 251-265
- 7 Riha O. Grundwissen Geschichte, Theorie, Ethik der Medizin. Bern: Huber; 2008
- 8 Groß D, Groß K, Schäfer G. Schweigepflicht vs. Fürsorgepflicht bei einer 17-jährigen mutmaßlich drogenabhängigen Patientin. In: Groß D, Hrsg. Ethik in der Zahnmedizin: Ein praxisorientiertes Lehrbuch mit 20 kommentierten klinischen Fällen. Berlin: Quintessenz; 2012: 309-312
- 9 Laufs A, Katzenmeier C, Lipp V. Arztrecht. 6. Auflage.. München: Beck; 2009: Kap. IX Rn 11 E-Book. Im Internet: http://beck-online.beck.de/Default.aspx?vpath=bibdata/komm/LauKatLipHdbArztR_6/cont/LauKatLipHdbArztR.Kap_IX.glA.glI.gl4.htm%23FNID0EUOLQ Stand: 15.06.2011
- 10 Laufs A, Kern BR. Handbuch des Arztrechts. 4. Aufl.. München: Beck; 2010: § 71 Rn 35 E-Book. Im Internet: http://beck-online.beck.de/default.aspx?vpath=bibdata/komm/LauKeHdbArztR_4/cont/LauKeHdbArztR.71.glVII.htm Stand: 15.06.2011
- 11 Laufs A, Kern BR. Handbuch des Arztrechts. 4. Aufl.. München: Beck; 2010: § 71 Rn 37 E-Book. Im Internet: http://beck-online.beck.de/default.aspx?vpath=bibdata/komm/LauKeHdbArztR_4/cont/LauKeHdbArztR.71.glVII.htm Stand: 15.06.2011
- 12 Bender A. Das Verhältnis von ärztlicher Schweigepflicht und Informationsanspruch bei der Behandlung Minderjähriger. Medizinrecht 1997; 15: 7-16
- 13 Beauchamp TL, Childress JF. Principles of biomedical Ethics. New York: Oxford University Press; 2009
- 14 Hurrelmann K. Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung. 10. Aufl.. München: Juventa; 2009
- 15 Wissenschaftliches Kuratorium der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS), Hrsg.. Drogenabhängigkeit (= Suchtmedizinische Reihe, 4). Hamm: DHS; 2006
- 16 Utzig B, Groß D. Dissens zwischen Hauszahnarzt und Kieferorthopäde sowie private Einflussnahmen. In: Groß D, Hrsg. Ethik in der Zahnmedizin: Ein praxisorientiertes Lehrbuch mit 20 kommentierten klinischen Fällen. Berlin: Quintessenz; 2012: 265-269