Zeitschrift für Palliativmedizin 2014; 15(1): 1-2
DOI: 10.1055/s-0033-1362174
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Palliativversorgung und Forschung in der Palliativmedizin im Fokus

Friedemann Nauck
,
Lukas Radbruch
,
Hans-Peter Zenner
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
29. Januar 2014 (online)

Die Palliativmedizin verzeichnet als multiprofessionelles, wissenschaftliches Fachgebiet weiterhin eine rasante Entwicklung. Das lässt sich einerseits an der Zahl der inzwischen über 4700 Mitglieder in der Fachgesellschaft aus zahlreichen medizinischen und nicht-medizinischen Berufsgruppen ablesen, aber auch an einem zunehmenden Interesse und der Offenheit in benachbarten Disziplinen, Fachgesellschaften und Gesundheitsinstitutionen, der Öffentlichkeit und der Politik. Auch wenn die Versorgungslandschaft viel besser als noch gegen Ende der 1990er Jahre auf den Bedarf und die Bedürfnisse unheilbar erkrankter Menschen eingestellt ist und Palliativmedizin mittlerweile vielerorts ein wesentlicher und fest etablierter Bestandteil in der Behandlung geworden ist, bedarf es dringend der weiteren, auch wissenschaftlich fundierten, Entwicklung dieses jungen Fachgebiets. Im Gesundheitswesen wird für die Behandlung und Begleitung von Menschen, bei denen nicht mehr Heilung, sondern Prävention und Linderung von Leid im Mittelpunkt stehen, zunehmend der Oberbegriff „Palliativversorgung“ verwendet.

Auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften haben das Thema Palliativversorgung aufgegriffen und in den vergangen beiden Jahren eine Stellungnahme erarbeitet, die 2014 veröffentlicht wird. Sie soll Perspektiven und Handlungsoptionen aufzeigen, mit denen eine angemessene und qualitativ hoch stehende Versorgung von Menschen mit lebensverkürzenden Erkrankungen nachhaltig ausgebaut und weiterentwickelt werden kann.

Warum ist das Thema Palliativversorgung für die Nationale Akademie der Wissenschaften von Interesse?

Die Leopoldina – eine der ältesten Wissenschaftsakademien der Welt – hat als Deutschlands Nationale Akademie der Wissenschaften die Aufgabe, unabhängig von wirtschaftlichen und politischen Einzelinteressen wichtige gesellschaftliche Zukunftsthemen aus wissenschaftlicher Sicht zu bearbeiten und die Ergebnisse der Politik und der Öffentlichkeit zu vermitteln. Stellungnahmen wissenschaftlicher Kommissionen und Arbeitsgruppen, etwa zu den Themen Präimplantationsdiagnostik (2011), Bioenergie (2012) oder zur Antibiotika-Forschung (2013), haben die öffentliche Diskussion mit geprägt.

Für die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Akademienunion war die Palliativversorgung in den vergangen beiden Jahren ein wichtiges Zukunftsthema. Deshalb haben die beiden Partner im Jahr 2012 eine transdisziplinäre Arbeitsgruppe – zusammengesetzt aus Grundlagenforschern verschiedener Disziplinen sowie Vertretern des Fachgebietes mit unterschiedlichen Fachrichtungen, u. a. Medizin, Pflege, Psychologie, Sozialwissenschaften, Theologie – unter der Leitung von Lukas Radbruch und Hans-Peter Zenner eingesetzt, um eine Stellungnahme zu erarbeiten. Die darin formulierten Handlungsoptionen sind das Ergebnis eines intensiven und ergebnisoffenen Diskussions- und Arbeitsgruppenprozesses unter Berücksichtigung des aktuellen Stands wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Die Stellungnahme der Akademien zur Palliativversorgung, die in diesem Jahr veröffentlicht wird, verfolgt zwei Ziele. Einerseits zeigt sie, ausgehend von der aktuellen Situation Bereiche auf, die Defizite und Entwicklungspotenziale aufweisen und in den kommenden Jahren in den Blick zu nehmen sind und verbessert werden sollten. Die Situation in Deutschland wird dabei gleichzeitig auch im internationalen Vergleich analysiert. Andererseits entwickelt sie auf dieser Grundlage eine interdisziplinäre und umfassende Forschungsagenda zur Palliativversorgung. Damit sollen Grundlagen und Handlungsoptionen für politische und gesellschaftliche Entscheidungen zu einer lückenlosen, qualitativ hochwertigen und evidenzbasierten Palliativversorgung in Deutschland gelegt werden.

An die Professionellen in der Palliativversorgung werden auch zukünftig hohe Anforderungen gestellt, den Nachweis zu erbringen, dass Behandlungsangebote evidenzbasiert erfolgen und höchst mögliche Qualität für jeden Betroffenen in der medizinischen, pflegerischen, psycho-sozialen und spirituellen Behandlung und Begleitung zur Verfügung steht. Zudem müssen im Rahmen der Versorgungsforschung Wege aufgezeigt werden, wie die Schnittstellen zwischen ambulant und stationär, zwischen Palliativversorgung und onkologischer Behandlung, zwischen „normalen“ und spezialisierten Krankenhausstationen und Pflegediensten optimiert werden können, damit jeder Patient so behandelt wird, dass die verbleibende Zeit des Lebens bei guter Symptomlinderung in größtmöglicher Autonomie und Würde erlebt werden kann.

Die flächendeckende Palliativversorgung ist noch lange nicht erreicht. Die Stellungnahme der Leopoldina zur Palliativversorgung und ihre wissenschaftliche Diskussion, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, wird sicher ebenso wie die Vereinbarungen in der Nationalen Strategie, mit denen die „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland“ umgesetzt werden soll, und die Aufnahme der Palliativmedizin in den Nationalen Krebsplan dazu beitragen, die Selbstverpflichtungen im Gesundheitswesen auf dem Weg zu einer besseren Versorgung zu unterstützen.