Der Klinikarzt 2014; 43(3): 117
DOI: 10.1055/s-0034-1373720
Editorial
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Teamgeist im Krankenhaus: Wird die Seelsorge vergessen?

Winfried Hardinghaus
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Publication Date:
25 March 2014 (online)

Wem sage ich das: Krankheit beansprucht den ganzen Menschen, seinen Körper und seine Seele, seine ganze Befindlichkeit in jeder Lebenszeit. Krankheit wirft Lebenspläne um, stellt Prioritäten auf den Kopf und führt zu neuer Lebensbetrachtung, die nicht verweigert werden darf. Als Ärzte in der Klinik erleben wir täglich, wie verschieden sich Kranke und Angehörige in dieser Situation der Lebensprüfung verhalten: die einen begehren auf, die anderen resignieren und einige andere versuchen diese neue Situation zu ergründen, sich ihr zuzuwenden.

In einer Zeit, in der Beschleunigung als Lebensmaxime ganz oben steht und Rationalisierung nicht etwas Besseres bedeutet, kein leichtes, aber ein wesentliches Unterfangen. Nicht selten treten dabei auch weltanschauliche Fragen auf, denen wir uns als persönlich angesprochene Ärzte, einerseits, nicht verweigern und nicht allein auf die Zuständigkeit der Seelsorge oder des psychologischen Dienstes verweisen. Dass wir diese andererseits im heutigen Krankenhaus meistens problemlos als wertvolle Teammitglieder hinzuziehen können, ist schon ein Segen für sich.

Bleibe ich hier einmal bei der Seelsorge, weil sie mir durch lange persönliche Erfahrung in Häusern kirchlicher Trägerschaft besonders imponiert (mit der Bitte um Nachsicht bei allen Psychologen/innen und Psychotherapeuten/innen, deren Kompetenz und Qualifikation überhaupt nicht zur Debatte steht) und für deren häufig rein ehrenamtliches Wirken ich eine besondere Lanze brechen möchte. Übersehen wir sie in ihrem eher stillen und sich selbst zurücknehmenden Auftreten nicht zu leicht in unserem eigenen medizinischen Alltagsbetrieb? Ich darf „ unseren Pastor“ so erleben wie im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter: „Nicht besser wissend vorübergehend sondern sich dem leidenden Menschen und seinen Angehörigen zuwendend“. In der Situation der schweren und längeren Krankheit bekommen unsere Patienten, Menschen jeder Lebensstufe, erst durch seelische und psychosoziale Zuwendung die entscheidende Stütze, die ihre inneren Nöte, Unruhen und Verwerfungen erkennt, auf sie eingeht und die heilenden Kräfte stärkt.

Die Krankenhausseelsorge hat sich in den letzten Jahren deutlich offener entwickelt, in Richtung einer umfassenden spiritual care. Weiher unterscheidet eine Spiritualität in expliziter Form als z. T. ritualisierte Ausdrucksform der Geisteshaltung eines Menschen, die seit langem auch als Extrinsic-Religiosität bezeichnet wird, oder auch in implizierter Form im Sinne eines innersten Inspiriertseins, „für das Menschen kein reflektiertes und ausgearbeitet vorzeigbares System haben“ (Intrinsic-Religiosität). Die sogenannte Alltagsspiritualität gilt für Menschen, die sich zwar einer Religion verbunden fühlen, in erster Linie jedoch den Sinn ihres Leidens, ihres Lebens und alltägliche Ängste verstanden wissen wollen. Als „spirituelle Diakonie“ will die Seelsorge begegnungsoffen und begegnungswillig für alle Formen von Spiritualität und Sinnsuche von Menschen sein.

Wir wissen, die Innenwelt des Menschen bleibt hoch komplex und wird durch übertriebenes Gesundheitsbewusstsein noch komplizierter. Jedenfalls: Seelsorger leisten mehr als Trost zu geben. Die spirituelle Unterstützung ist für uns Ärzte, wem sage ich das, als Teil unseres ganzheitlichen Behandlungsauftrages für mich unverzichtbar – und dafür bin ich persönlich dankbar.