Einleitung/Hintergrund: Der Schritt der Bürger ins professionelle Versorgungssystem bestimmt den anschließenden
Arbeitsbogen der Ärzte wesentlich mit. Ziel der Studie war, Determinanten der Nachfrage
ärztlicher Leistungen aus Patientensicht zu untersuchen, um einen Beitrag zum Verständnis
der patienteninitiierten Nachfrage des Gesundheitssystems zu leisten. Dafür wurden
15 typisierte Fallbeschreibungen („Vignetten“) mit gestaffelten körperlichen und psychischen
Funktionseinschränkungen entwickelt, die auf dem generischen Lebensqualitätsfragebogen
EQ-5D-3L™ basieren.
Daten/Methodik: Eine Stichprobe deutscher Bürger und Bürgerinnen zwischen 30 bis 70 Jahren (je 500
aus Magdeburg, Wittenberg und dem Landkreis Stendal) wurde per Post gebeten, für vier
randomisiert zugeteilte Vignettenpaare zu entscheiden, welcher Fall jeweils dringlicher
zum Arzt gehen sollte („discrete choice“). Jeder Adressat wurde zudem nach seinem
eigenen Gesundheitszustand gefragt. Der Datenrücklauf war vollständig anonymisiert.
Abhängiges Merkmal einer binären logistischen Regressionsanalyse war die Inanspruchnahme
eines Arztes (ja/nein) für den per Vignette beschriebenen Fall, unabhängig waren der
Vektor zunehmend gravierender funktioneller Einschränkungen in den Fallbeschreibungen
(Vignettenebene) und Merkmale der Befragten (Personenebene; Mehrebenenanalyse mit
random intercept).
Ergebnisse: Die Netto-Rücklaufquote nach einem Erinnerungsschreiben betrug 48,0%. Auswertbar
waren 690 Fragebögen. Der Anteil der Teilnehmerinnen war 52,3%, das Durchschnittsalter
lag bei 54,7 Jahren (Standardabweichung 9,6 Jahre).
Die Teilnahme war am höchsten in der Altersgruppe der 60- bis 70-Jährigen (60,2%),
am niedrigsten bei den 30- bis 39-Jährigen (36,4%). Die randomisierte Zuteilung der
Vignetten fand sich ungestört im Rücklauf wieder. In der binären logistischen Regressionsanalyse
unter Berücksichtigung mehrfacher Vignettenentscheidungen durch denselben Befragten
waren auf Vignettenebene Probleme in vier der fünf Dimensionen des EQ-5DTM – Beweglichkeit/Mobilität,
Alltägliche Tätigkeiten, Schmerzen/körperliche Beschwerden und Angst/Niedergeschlagenheit
– statistisch signifikant mit der Entscheidung der Inanspruchnahme ärztlichen Leistungen
für die beurteilte Vignette verbunden (p jeweils < 0,05). Auf Personenebene bestand
ein signifikant Zusammenhang zwischen der Inanspruchnahme einer ärztlichen Leistung
der beurteilten Vignette und der eigenen aktuellen gesundheitsbezogenen Lebensqualität
sowie der Sicherheit des Befragten bei der Disposition der Vignette (p jeweils < 0,05).
Die Variablen Geschlecht, Alter, Bildungsstand und Arbeitsstatus zeigten keine signifikanten
Zusammenhänge mit dem Entscheid zur Arztinanspruchnahme der beurteilten Vignette.
Diskussion/Schlussfolgerung: Die Neigung, einen Arzt in Anspruch zu nehmen, konnten wir per Fallvignetten gegen
den Gradienten der Funktionseinschränkung des EQ-5D™ validieren. Vignetten auf Basis
des EQ-5D™ stellen ein praktikables Messinstrument der Versorgungsforschung dar. Nicht
nur Merkmale der Vignette, sondern auch Merkmale der Befragten selbst tragen zu einer
Entscheidung für die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen bei.