PPH 2014; 20(06): 300-301
DOI: 10.1055/s-0034-1395957
Szene
Larses lyrische Lebensberatung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wie nehme ich Abschied?

Lars Ruppel
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Publication Date:
21 November 2014 (online)

Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus

Muss i denn, muss i denn
zum Städtele hinaus, Städtele hinaus,
Und du, mein Schatz, bleibst hier?
Wenn i komm’, wenn i komm’,
wenn i wiedrum komm’,
Kehr’ i ein, mein Schatz, bei dir.
Kann i glei net allweil bei dir sein,
Han i doch mein Freud’ an dir!
Wenn i komm’, wenn i komm’,
wenn i wiedrum komm’,
Kehr’ i ein, mein Schatz, bei dir.

Friedrich Silcher (1789-1860)

Da sitze ich nun im Zug von Hamburg nach Berlin, noch ein wenig verschwitzt und heiser, wie es sich nach einer ordentlichen Gedichtlesung für Seniorinnen und Senioren gehört, und schreibe an meiner vorerst letzten lyrischen Lebensberatung, die gedruckt erscheint. Im namensgleichen Podcast (im Internet zu finden auf www.thieme.de/pflege/LLL) erhalten Sie weiterhin – hoffentlich nützliche – Tipps für lebendige Gedichtvorträge in der Pflege.

Eben wurde durchgesagt, dass der Zug wegen einer technischen Panne vorerst nicht weiterfahren kann. Nachdem ich von Hamburg Abschied genommen habe, wird sich das Willkommen daheim in Berlin noch weiter verzögern. Genügend Zeit also, um sich dem Thema Abschiednehmen ausgiebig zu widmen.

Der Abschied ist allgegenwärtig in Pflegeeinrichtungen. Sei es ein Abschied aus der stationären Aufnahme, ein Abschied des Besuchs, ein endgültiger Abschied, ein Abschied von gewohnten Verhaltensmustern oder einer vertrauten Umgebung. Eine besondere Form des Abschiednehmens begegnet uns bei Menschen mit demenziellen Veränderungen. Sie werden zum immerwährenden Abschiednehmen gezwungen und müssen den Menschen um sie herum immer wieder neu begegnen.

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ sagt Hermann Hesse in seinem Gedicht „Stufen“. Der Zauber, der in einem Abschied wohnt, scheint ein Böser zu sein, denn er macht uns allzu oft traurig. Andere Sprichwörter wie „Wo du eine Tür zumachst, geht eine andere auf.“ oder „Man sieht sich im Leben immer zweimal.“ trösten da wenig.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fortbildung in Hamburg haben mir gezeigt, wie schön man Abschiede gestalten kann. Die Schülerinnen und Schüler im Alter von 15 bis 16 Jahren treffen sich seit einiger Zeit wöchentlich jeden Dienstag mit den Senioren der Demenzgruppe in der Tagespflege einer Einrichtung in Hamburg-Bergedorf. In einem Workshop mit einer Pflegenden, die eine Weckworte-Fortbildung bei mir besucht hat, haben sie den Gedichtvortrag für Menschen mit demenziellen Veränderungen gelernt. Nun durfte ich für diese Schüler selbst einen Workshop leiten und gemeinsam mit ihnen eine einstündige Lesung gestalten.

Besonders beeindruckt haben mich ihre Ideen für die Begrüßung und den Abschied des Treffens. Vor dem Beginn versammelten sie sich vor der Tür, hinter der die Senioren schon aufgeregt in einem Sitzkreis warteten. Dann betraten sie im Gleichschritt den Raum und sangen dabei „Das Wandern ist des Müllers Lust“ und begrüßten jeden einzelnen Gast mit Handschlag.

Nach etwa einer Stunde Programm mit den verschiedensten Gedichten wurde Abschied genommen – und zwar auf sensibelste Art und Weise. Man hakte sich ein und sang dann gemeinsam das bekannte Hamburger Lied „In Hamburg sagt man Tschüss“ von Heidi Kabel. Danach begleiteten die Schüler die Senioren zum bereits wartenden Auto. Dort stellten sich die Schüler in einer Reihe auf und winkten den Senioren so lange, bis ihr Auto um eine Ecke gebogen war.

Ich glaube es ist mir gelungen, eine Formel für einen gelungenen Abschied aufzustellen: Dauer der schönen Zeit multipliziert mit der Zeit bis zum nächsten Wiedersehen geteilt durch die Anzahl der Abschied nehmenden Personen ergibt die Zeit, die man sich für den Abschied nehmen muss.

Podcast!

Sie wollen Lars Ruppel live hören? Und Tipps von ihm erhalten, wie Sie das Gedicht praktisch einsetzen können? Bitte schön:

Wir wünschen viel Hörvergnügen!