Z Gastroenterol 2014; 52(12): 1507-1509
DOI: 10.1055/s-0034-1397373
Mitteilungen des BVGD
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Gastroenterologie 2025 – Chancen und Anforderungen

Berufspolitischer Vormittag des BVGD auf dem Jahreskongress
A. Stallmach
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Publication Date:
10 December 2014 (online)

„Steigende Kosten im Gesundheitssystem“, die „Sicherstellung der ärztlichen ambulanten Versorgung insbesondere im ländlichen Bereich“, der „Abbau gastroenterologischer Betten im stationären Bereich“, oder der „Mangel des ärztlichen und wissenschaftlichen Nachwuchs in der Gastroenterologie“: Diese und andere negative Schlagwörter dominieren die aktuelle Diskussion in der Gesundheitspolitik. Die Gastroenterologie als das zentrale Fach der Inneren Medizin steht im Spannungsfeld und empfindet den Konflikt, der sich aus den Ansprüchen und Möglichkeiten in der Patientenversorgung und den stattfindenden (Re-)Finanzierungen ergibt, als bedrohlich. Eine einfache Lösung der Konflikte ist nicht absehbar und doch gibt es richtungsweisende positive Impulse, die eine Sicherstellung und Weiterentwicklung unseres Faches fördern können.

Zu diesen Themen veranstaltete der Bundesverband Gastroenterologie Deutschland e. V. (BVGD) auf der Jahrestagung „Viszeralmedizin 2014“ am 20. September in Leipzig einen berufspolitischen Vormittag. Ein wichtiger Programmpunkt war dabei die Vorstellung des so genannten „Wille-Gutachtens“, ein Gutachten von Prof. Dr. E. Wille und Dr. M. Popp im Auftrag der DGVS zu „Gastroenterologische Kernleistungen unter gesundheitsökonomischen Aspekten“. Vor dem Hintergrund der absehbaren demographischen Entwicklung und der teilweise schon jetzt vorhandenen Schwierigkeiten, flächendeckend eine Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau sicherzustellen, muss sich die Gastroenterologie als Fach weiterentwickeln. Gleichzeitig ergeben sich hieraus aber auch große Chancen. Drei Aspekte sollen aus dem Gutachten kurz zusammengefasst werden:

1. Die Entwicklung der Gastroenterologen im vertragsärztlichen und stationären Bereich

Von 1996 zu 2011 stieg der Anteil der ambulant tätigen Gastroenterologen von 0,5 % (548/109 118) auf 0,99 % (1 194/121 189) an. Dabei lag die Wachstumsrate der Gastroenterologen mit 5,01 %/Jahr deutlich oberhalb derer aller (Fach-)Arztgruppen. Wichtig erscheint, dass im Jahr 1996 das Durchschnittsalter der Gastroenterologen noch 50 Jahre und das aller Vertragsärzte nur 48,7 Jahre betrug. Dieses Verhältnis veränderte sich bis zum Jahr 2011 zugunsten der Gastroenterologie. Das Durchschnittsalter stieg nur leicht auf 51,4 Jahre an, das aller Vertragsärzte nahm hingegen auf 53 Jahre zu. Möglicherweise gelang es der Gastroenterologie als Fach besser, Nachwuchs zu gewinnen und auf diesem Weg eine Überalterung zu bremsen.

Im stationären Bereich waren 1996 in 308 Krankenhäusern insgesamt 720 Gastroenterologen beschäftigt. Bis 2011 stieg nicht nur die Zahl der Krankenhäuser mit gastroenterologisch tätigen Ärzten auf 530 an, auch nahm die Gesamtzahl der im Krankenhaus tätigen Gastroenterologen um ca. 129 % auf 1648 Personen zu. Die Zahl der Assistenzärzte als eine Untergruppe der Gesamtzahl stieg von 174 auf 379 um 118 % dabei nur unterproportional an. Auffällig ist, dass 23 % aller Gastroenterologen Assistenzärzte sind, während es in der Gesamtheit aller Ärzte ca. 68 % waren. Mit der Zunahme der Ärztezahl änderte sich auch die Geschlechterstruktur. 1996 waren 12 % der Gastroenterologen Frauen und 2011 waren es bereits 22 %. Der Anteil der in Teilzeit arbeitenden Gastroenterologinnen stieg von 11,6 % auf 28,2 %.

Perspektivisch müssen – um die gleiche Anzahl der Behandlungsfälle bewältigen zu können (siehe unten) – bis zum Jahr 2025 bereits 50 % der heute beschäftigten Gastroenterologen durch „nachwachsende“ Ärzte ersetzt werden. In der Gesamtheit aller Ärzte ist die Situation mit einem Ersatzbedarf von nur 20 % im Jahr 2025 wesentlich geringer (siehe auch  [Abb. 1]).

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Abb. 1 Personeller Ersatzbedarf im stationären Bereich innerhalb der nächsten 25 Jahre.

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2. Das gastroenterologische Leistungsspektrum im ambulanten und stationären Bereich

2011 wurde durch die GKV für gastroenterologische Leistungen insgesamt 245 767 Mio. € finanziert. Bezogen auf die Gesamtausgaben der GKV für ambulante ärztliche Behandlungen in Höhe von 27,63 Mrd. € machen gastroenterologische Leistungen mit weniger als 1 % lediglich einen sehr kleinen Teil aus. Den mit Abstand größten Anteil der Ausgaben nahm die „Zusatzpauschale Koloskopie“ mit 35 % ein. An 2. Stelle folgt die Ösophago-Gastro-Duodenoskopie mit einem Anteil von ca. 19 %. Auf Platz 3 (12 %) rangiert die Vorsorge-Koloskopie im Rahmen der Krebsfrüherkennung ab dem 55. Lebensjahr. Folglich umfassen die drei ausgabenintensivsten Leistungen bereits über 66 % der gesamten Ausgaben.

Bei Betrachtung der Verteilung auf verschiedene Altersgruppen zeigt sich, dass im ambulanten Bereich die Ausgaben für beide Geschlechter etwa parallel bis zum Alter von 60 Jahren ansteigen, um dann für etwa 20 Jahre auf einem hohen Niveau zu verharren. Anschließend sinken die Ausgaben sehr deutlich ab.

Im stationären Bereich wurden im Jahr 2000 und 2011 insgesamt 290 289 bzw. 499 290 (+ 72 %) Fälle behandelt. Bei der Betrachtung der Altersgruppen zeigt sich, dass sowohl 2000 als 2011 die Kurven kontinuierlich steigend verlaufen und erreichen erst in der zweithöchsten Altersgruppe ihr Maximum. Für Männer fällt sie danach und für Frauen verbleibt sie dann auf diesem Niveau. Dadurch unterscheidet sich das Inanspruchnahmeverhalten im stationären Sektor sehr stark von dem im ambulanten Sektor, wo die Nachfrage bereits im Alter zwischen 60 und 75 Jahren das Maximum erreicht.


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3. Abschätzungen gastroenterologischer Leistungen vor dem Hintergrund demographischer Entwicklungen

Wir alle wissen, dass die Altersstruktur der Bevölkerung deutlichen Veränderungen unterliegt und dieser Wandel sich auch zukünftig fortsetzen wird. Diese Veränderungen beeinflussen als wesentliche Komponenten die zukünftigen Entwicklungen im Gesundheitswesen. Wahrscheinlich wird bis zum Jahr 2060 die Bevölkerung von heute knapp 81,7 Millionen Einwohnern auf nur noch 64,7 Millionen zurückgehen (– 20,8 %). Parallel zu dieser Schrumpfung findet eine starke Alterung statt, der Altenquotient, in dem die ältere (nicht mehr erwerbsfähige) Bevölkerung auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bezogen wird, steigt von 33,8 im Jahr 2010 auf 67,4 im Jahr 2060 an.

Aufgrund der Veränderungen in der Altersstruktur und der Zunahme gastroenterologischer Leistungen beim älteren Patienten wird den verschiedenen Prognosen nach die Nachfrage nach gastroenterologischen Leistungen – je nach Modell – um 2,5 % bis 5 % in den nächsten 15 Jahren steigen. Nach Erreichen einer maximalen Nachfrage zwischen 2023 und 2027 nimmt diese langsam, dann beschleunigt ab.

Im stationären Bereich sind die Entwicklungen anders: Hier kommt es zu einem starken Anstieg der Nachfrage, in der Spitze bis zu 20 % im Jahr 2045. Erst danach sinkt die Nachfrage ab, erreicht aber selbst 2060 nicht das Ausgangsniveau (siehe auch  [Abb. 2]).

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Abb. 2 Entwicklungen der gastroenterologischen Leistungen im stationären Bereich.

In der Zusammenfassung ergibt sich für die nächsten Jahre ein deutlich steigender Bedarf an gastroenterologischen Leistungen im ambulanten und insbesondere stationären Bereich; die Gastroenterologie als Fach „wird noch stärker gebraucht“. Die Nachfragesteigerung führt auch zu einem weiter wachsenden Bedarf an Gastroenterologen. Ein Ausbau der Weiterbildungs-kapazitäten im stationären und ambulanten Bereich (bei adäquater Finanzierung der Weiterbildung) ist sinnvoll. Die zunehmende „Feminisierung“ in der Gesundheitsversorgung, der Wunsch immer öfter in Teilzeit zu arbeiten und das Bestreben zu einer veränderten „Work-life-Balance“ zu kommen, hat dabei einen großen Einfluss auf Weiterbildungskonzepte.

Insgesamt lohnt sich die Lektüre des Gutachtens für Kollegen in der Niederlassung und leitende Kollegen im stationären Bereich; es liefert sicher auch Argumente für potentielle Diskussionen mit der Geschäftsführung. Interessierte Mitglieder der DGVS können deshalb auf Anfrage bei der DGVS-Geschäftsstelle in Berlin dieses erhalten.


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